Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
sie sich am Steuer um, schaute Peg und mich um Verständnis bittend an und sagte: »Ich erlebe das ständig in den Therapiesitzungen. Jeden Tag stirbt jemand vor Einsamkeit.«
4
I ch holte tief Luft, bevor ich nach oben ging.
»Min – wo könntest du hingehen, falls ich nach New York fliegen müsste?« Ich stand am Fenster, zupfte die Vorhangfalten zurecht und versuchte, möglichst unaufgeregt zu klingen. »Ich muss nämlich nach Amerika, aber nur für eine Woche.«
Keine Reaktion.
»Ich muss nach New York. Arbeit, nicht Vergnügen.«
Immer noch keine Reaktion. Als ich mich umdrehte, fiel mein Blick auf mein Spiegelbild. Nicht gerade inspirierend. Mir fehlten nur noch die geblümte Kittelschürze und die Gummistiefel, dann hätte ich mich als irische Hausfrau aus dem Jahr 1950 ausgeben können. Für Manhattan brauchte ich zumindest noch einen guten Haarschnitt.
»Wir werden nicht jünger, Min. Ich muss einen Job finden, den ich zu Hause machen kann. Meine Ersparnisse rinnen mir durch die Finger.«
» Ich bin noch jung, meine Liebe!« Sie setzte sich im Bett auf, und Bell miaute empört. »Du kannst fahren, wohin du willst – ich bleibe hier, in meinem Haus. Hier fühle ich mich wohl.«
»Darf ich dich darauf hinweisen, dass du ohne mich nicht mal eine Zentralheizung hättest?«, brummte ich und fügte in Gedanken hinzu: Und ich habe auch die Hypothek für dich bezahlt, seit ich Geld verdiene – wie kommt es eigentlich, dass das nie
erwähnt wird? »Aber egal – du kannst auf keinen Fall allein hierbleiben.«
»Doch, kann ich. Ich habe jahrelang allein hier gewohnt, während du durch die Welt gezogen bist und …«
»Damals warst du jünger und …«
»Und ich habe überhaupt nichts dagegen, dass du deinen Freund besuchst – oder wer immer dieser Ausländer ist, der wie ein Nachrichtensprecher redet.«
»Leo. Du weißt genau, dass er Leo heißt. Aber ich fahre nur weg, wenn Reeny hier ist. Damit sie gleich kommen kann, falls du stürzt oder irgendwas. Die Treppe ist nämlich eine üble Stolperfalle. Oder falls du etwas auf dem Herd stehen lässt.«
»Ich gehe nirgendwo hin.«
Ich stapfte aus dem Zimmer und ging am Bad vorbei in das kleine Schlafzimmer, das früher meinem Vater gehört hatte. Irgendwie musste ich die Fassung wiederfinden. Es fühlte sich fast an wie früher, wenn ich als Halbwüchsige sauer war auf Min. Auf Zehenspitzen ging ich ans Fenster und öffnete es, um frische Luft hereinzulassen. Die Erinnerungen an meinen Vater waren schon so alt, dass sie mir wie Schwarz-Weiß-Fotos vorkamen, aber ich bemühte mich immer noch, nicht auf den dünnen Teppichstreifen zwischen dem Bett und dem Schrank mit seinen dunklen, geheimen Winkeln zu treten, weil hier, seit ich denken konnte, Daddys Territorium begann. Seine Smokingjacken hingen ordentlich aufgereiht über den Socken, die aufgerollt in einem Pappkarton lagen, neben seinen frisch gebügelten Hemden in braunem Packpapier und dem Schuhputzzeug. Der Spiegel in der Schranktür war für mich wie das Scharnier zwischen den beiden Seiten meines Vaters gewesen: Da war auf der einen Seite der Mann im zerknitterten Schlafanzug, der mit der Katze im Arm die Treppe herunterstolperte und das kleine Tier absetzte, um mich zu küssen, und auf der anderen Seite der Kino-Manager, der mit einem letzten Blick seine äußere Erscheinung
überprüfte, während ich auf seinem Bett saß und ihn bewundernd beobachtete: Er zupfte seine Frackfliege zurecht, korrigierte die Bügelfalten, damit sie richtig fielen, strich seine schwarzen Haare mit schnellen Bewegungen zurück, rechte Hand, linke Hand, die Handflächen leicht mit Brillantine bedeckt, und dann machte er sich in seinem schwarzen Gabardine-Mantel auf den Weg zur Arbeit, als wäre er selbst ein berühmter Filmstar.
Ich setzte mich auf den Bettrand. Die Matratze in dem eisernen Rahmen gab bedenklich nach.
»Du bist immer aus dem Kinderbettchen geklettert, das in Mins Zimmer stand, und bist zu mir unter die Decke gekrochen, aber gleich wieder eingeschlafen«, hatte mir mein Vater oft erzählt, als ich noch klein war. »Vielleicht hast du dich unbewusst daran erinnert, dass deine Mam hier in diesem Bett geschlafen hat, als du noch in ihrem Bauch warst. Aber sie musste schon so bald in den Himmel. Also habe ich dem Priester in dem Ort, aus dem sie stammte, eine Nachricht geschickt, er soll ihrem Vater sagen, dass seine Tochter in den Himmel gegangen ist. Und dass sie ihr kleines Mädchen hier
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