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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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zurückgelassen hat, damit es auf mich aufpasst. Und das kleine Mädchen, das bist du.« Er lächelte mich an und strich mir zärtlich über die Wange. Wenn ich den Kopf auf eine ganz bestimmte Art schräg hielt, dann konnte seine Hand einfach nicht anders, das wusste ich.
    »Und dann ist Min zu uns gekommen. Ich hatte nicht mal gewusst, dass deine Mam eine Schwester hat.«
    Er verzog komisch erstaunt das Gesicht, und ich lachte mit ihm.
     
    Vier oder fünf Jahre später, als er fast nur noch im Bett lag und ich meine Hausaufgaben meistens bei ihm im Zimmer machte, redete er auch wieder davon.

    »Min wollte nicht, dass du zu mir ins Zimmer kommst«, sagte er. »Aber deine Großmutter, Granny Barry, hat zu ihr gesagt, sie soll das arme mutterlose Kind doch zu ihrem Vater lassen, wenn es das will.«
    Er schenkte mir ein müdes, aber immer noch verschmitztes Lächeln. »Das hat Min natürlich gar nicht gefallen. Ihrer Ansicht nach warst du nicht mutterlos. Und eigentlich warst du’s auch nicht. Minnie war zwar erst fünfzehn, als sie zu uns gekommen ist, aber sie war eine gute Mutter – mindestens so gut wie eine doppelt so alte Frau, wenn nicht besser. Aber sie hätte sich mehr amüsieren sollen. Daran muss ich immer denken, wenn ich die Fünfzehnjährigen sehe, die ins Odeon kommen. Die kichern und gackern die ganze Zeit und können gar nicht aufhören.«
    »Warum wollte Min nicht, dass ich in dein Zimmer gehe?«, fragte ich. Die Auseinandersetzungen in meiner Kindheit und Jugend führte ich eigentlich alle mit Min, nicht mit meinem Vater. Deshalb musste ich versuchen, sie irgendwie zu verstehen.
    »Sie wollte dich abhärten«, antwortete er. »Sie hält sich selbst für hart und zäh.«
    Und wieder lächelte er mich liebevoll an.
    Granny Barry konnte Min nicht ausstehen. Mein Dad tat so, als würde er es nicht merken, aber ich registrierte das alles sehr genau, selbst als ich noch klein war. Am Anfang der Ferien mussten wir immer die Schlüssel für die Hütte bei Granny Barry abholen. Ich rannte die schiefen Stufen hinauf zu der Wohnung über dem Torbogen von Bailey’s Yard, wo meine Großmutter wohnte. Jedes Mal hoffte ich inständig, dass wir nicht allzu lange bleiben würden. Alles war wie immer – das Teeservice mit dem Goldrand, die Teeblätter in der durchlöcherten Chromkugel, die an einer Kette im kochenden Wasser versenkt wurde, und natürlich die Sandwiches, mit klebrigem Rührei oder mit
trockenem Schinken, in zwei Reihen auf einer blattförmigen Platte.
    »Setzt euch an den Tisch. Ihr kommt doch bestimmt um vor Durst«, sagte Granny Barry und küsste mich und meinen Dad zur Begrüßung.
    Dad saß immer in dem Sessel, der »Billys Sessel« hieß. Lächelnd legte er den Kopf auf das weiße Spitzendeckchen, das den Samtbezug schonen sollte. Das sei ein Antimacassar , sagte meine Großmutter einmal, und ich war begeistert, als Markey mir später erklärte, Macassar sei ein Haaröl, das die Männer früher sehr häufig verwendet hätten. Grannys Sachen waren alle sehr edel. Das Chenille-Tischtuch mit den Bommeln, der türkische Teppich, der Bambusständer für den Porzellantopf am Fenster und die piksige Pflanze in dem Topf. Granny Barry rieb die Blätter dieser Pflanze immer mit Pond’s Cold Cream ein. Man hätte bei ihr zu Hause sehr gut »Die Toten« inszenieren können, wenn man die Kurzgeschichte von Joyce in ein Theaterstück verwandeln wollte – aber wie würde man das Ende darstellen, wenn es nur noch darum geht, Gabriels Gedanken darzustellen? Granny wusste, wer James Joyce war, weil sie damals, als sie in Bray wohnte, jeden Tag dieselbe Messe besucht hatte wie eine seiner Schwestern.
    Min wanderte unruhig hin und her. Sie wollte schnell weg, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Ich nutzte die Gelegenheit, um mich ein bisschen aufzuspielen. Ich las Stücke aus der Urkunde mit dem Papstsegen vor, die meine Großeltern bei ihrer Eheschließung erhalten hatten – was meinem Grandad allerdings nicht viel geholfen hatte. Er war nicht besonders gesegnet gewesen, denn er starb, wie meine Großmutter immer sagte, als der Hochzeitskuchen noch in der Dose war. Die Urkunde war eine eingerahmte Schriftrolle, die mich maßlos faszinierte. Sie war mit einem Rosenkranz aus Olivenholz geschmückt, dessen Perlen so groß waren wie Hühnereier, und hing links von einem
ebenfalls sehr imposanten Herz Jesu. Jesus konnte die Segensurkunde sehen, erklärte ich einmal meinem Vater, er musste nur die Augen

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