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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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zusammenkneifen.
    Endlich konnten wir aufbrechen. Wir fuhren bis ans Ende der Main Street, vorbei an rostigen Schachtwinden und baufälligen Holzbaracken, überquerten einen Nebenarm des Flusses Milbay und gelangten schließlich zu dem Gelände hinter dem hohen Zaun, zu der Wiese mit den vielen kahlen Stellen, voller Sand, Kies und Muscheln. Dort stand unsere Hütte auf Zementblöcken und blickte hinaus aufs Meer. In meiner Erinnerung war es immer ein perfekter Spätsommernachmittag, wenn mein Vater das Gittertor in dem hohen Zaun aufschloss und uns hineinkutschierte. Dann stieg er noch einmal aus und ließ das Vorhängeschloss wieder einschnappen. Er trug immer ein Hemd mit kurzen Ärmeln. Immer. Seine feinen, glatten Haare fielen ihm in die Stirn. So sieht die Szene in meiner Erinnerung aus. Dad hob den Kopf, um die salzige Meerluft einzuatmen, klimperte mit dem Schlüssel in der Luft und kam mit beschwingten Schritten wieder zum Auto zurück. Dann schob er mit einem leisen Knacken den Fahrersitz seines Ford Perfect ein Stück nach vorn, Min übernahm das Steuer und rollte – oh, wie aufregend! – über das sandige Gras.
    »Bremsen! Bremsen, junge Frau!« Es war wunderschön, wenn die beiden so fröhlich lachten. Min fuhr den Wagen im Schneckentempo etwa fünfzig Meter weit, aber die Strecke genügte, um sie in einen anderen Menschen zu verwandeln. Ihre Augen funkelten vor Stolz. Sie strahlte meinen Vater an, und er nickte, als wollte er sagen: »O ja – das machst du sehr gut!«
    Und dann stieß Dad die Tür zu unserer Hütte auf. Die Luft war stickig, es roch nach morschen Holzbrettern, nach Teerpappe und verstaubten Kokosmatten. Dad schleppte eine Gasflasche für den Herd mit den zwei Flammen herein und ein paar Kanister mit Leitungswasser, die wir immer von zu Hause mitbrachten.
Im vergangenen Jahr hatte Min kurz vor unserer Abreise den Fußboden mit Zeitungspapier ausgelegt. Ich kauerte mich hin, um die Artikel zu lesen, und Min zog mir die Seiten unter der Nase weg. Dann entfernte sie mit einer Bürste die Spinnweben, drückte das Fenster auf und verteilte das Bettzeug zwischen dem Eisenbett im hinteren Raum, in dem sie und ich schliefen, und der Luftmatratze in der Ecke des vorderen Zimmers, die mein Vater später mit der Fahrradpumpe für sich aufpumpte.
    Wir führten in dieser Hütte ein sehr elementares, einfaches Leben. Ich sah alles.
    Das war vielleicht der Hauptgrund, weshalb ich so gern dorthin fuhr. Wir waren ganz nah beieinander. Ich war dicht genug bei den beiden, um sie zu verstehen. Wenn Min zum Beispiel unsere Vorräte auspackte, konnte ich an der Art, wie sie die Sachen arrangierte, genau erkennen, wie stolz sie war. Sonst kauften wir nie so viel auf einmal. Wir begannen die Ferien immer mit lauter unangebrochenen Packungen: Salz, Tee und Zucker, ein Stapel Baked Beans-Dosen, außerdem zwei Kartons mit Eiern, ein Pfund Würstchen, ein Pfund geschnittener Schinken, ein großer Laib frisches Brot mit schwarzer Kruste und noch eine Dose Kekse für den Nachmittagstee. Min ließ das alles ein paar Stunden auf dem Tisch stehen, aber dann musste sie die Lebensmittel, die Mäuse anlocken könnten, doch wegräumen und in alte Keksdosen packen, die sie mit leisem Bedauern im Schrank verstaute.
    Und wenn das erledigt war, hängte sie als Allerletztes ihren alten Badeanzug mit den Punkten auf. Sie hängte ihn an einen Nagel an der Wand. Nicht, weil sie schwimmen gehen wollte. Min ging überhaupt nie schwimmen. Aber sie liebte diesen Badeanzug und hisste ihn wie eine Fahne.
     
    Ich erhob mich von Dads Bett, noch ganz in Gedanken versunken, und als mein Blick in den Schranktürspiegel fiel, sah
ich mein verschwommenes Ebenbild, das ebenfalls aufstand. Im Zimmer herrschte Grabesstille – wie überhaupt im ganzen Haus.
    Dad starb, als ich vierzehn war. Gegen Ende lag er immer unten in der Küche, in einem Spezialbett, das Reeny beim Pflegedienst beantragt hatte. Er hustete und hustete und war viel zu schwach, um den Haushalt noch groß zu belasten. Es war nicht mehr viel von ihm übrig. Min tat alles für ihn – sie fütterte ihn, leerte den Nachttopf, wusch ihn, putzte ihm die Zähne und die Ohren und tupfte seine Augen trocken. Sie wollte auf jeden Fall verhindern, dass er ins Krankenhaus eingeliefert wurde.
    »Ich hab’s ihm versprochen«, erklärte sie mit fester Stimme, egal, was der Arzt oder die Nachbarn sagten.
    Ich weiß, dass mein Vater sie hörte, denn ich sah, wie er die Hände von der Decke

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