Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Streifen am schwarzen Himmel entdecken. Hier auf der Straße hatte man allerdings das Gefühl, dass es noch mitten in der Nacht war. Aber spielte hinter dem Zaun gegenüber von meinem Hotel nicht leise Tanzmusik? Oder bildete ich mir das nur ein?
»Es ist eine untergegangene Stadt«, erklärte Markey gerade. »Das alte Manhattan. Den Fleischmarkt gibt es noch – jedenfalls die Straßen und die Gebäude -, aber der Fischmarkt ist quasi schon weg. Schau dir das mal an«, wir hatten inzwischen die Canal Street erreicht, »sieht das nicht aus wie die Hauptstraße eines russischen Handelsstädtchens in der Zarenzeit? Die Holzfassaden der Geschäfte, die alten Schaufenster, die Keller mit den Jalousien. Hier bekommt man wirklich einen Eindruck davon, wie es früher in diesem Teil von Manhattan ausgesehen haben muss. Es war das Handelszentrum einer Stadt voller Immigranten – nicht ganz so imposant wie die Lower East Side, aber es ist trotzdem das Beste, was wir in dem bisschen Zeit schaffen können. Nach Soho müssen wir nämlich auch noch. Da drüben, diese Gebäude – das waren die Lagerhallen. Siehst du die Lastenaufzüge? Die sind fantastisch gearbeitet, aus Granit und Gusseisen.«
»Du hast dich überhaupt nicht verändert, Markey!«, rief ich.
Ich hörte mich selbst reden und dachte: überhaupt nicht verändert? Wie bitte? Soll das ein Witz sein?
Früher, als wir noch jung waren, galt ich als die Attraktivere von uns beiden, klar. Konnte er sich daran erinnern? Wenn ich am Wochenende tanzen ging, begleitete Markey mich immer bis zu einer meiner Freundinnen und verabschiedete sich dann. Ich war eingehüllt in eine Parfümwolke – jeweils die Sorte, die man im Kaufhaus Pillar gerade kostenlos testen konnte -, trug einen hautengen Rock und einen Büstenhalter, der meinen Busen so nach oben drückte, dass er fast zum Himmel zeigte. Markey hingegen redete über Claudel oder Robert Lowell oder über das Stadtmodell, das die Städteplaner im Sinn hatten, als sie nach dem Aufstand von 1916 die Innenstadt von Dublin neu gestalteten, und ich stolperte in meinen Stilettos neben ihm her. Eigentlich müsste ich Schuhe mit so hohen Absätzen ablehnen, weil sie im Grund eine Form von Folter sind, aber ich liebe sie bis heute. Ich finde sie total sexy, Feminismus hin oder her. Und damals drehte sich in meinem Leben sowieso alles um Sex – außer, wenn ich mit Markey unterwegs war. Und Markey ging an diesen Abenden anschließend wieder brav nach Hause, um zu lesen, während die Mädels und ich um die Häuser zogen.
Genau so stellte Min sich mein Leben vor. Sie wollte, dass ich im Kaufhaus Pillar arbeitete und tanzen ging und irgendwann meinen zukünftigen Ehemann kennenlernte. Mir war das damals noch nicht klar, aber Min wusste genau, dass ich diese mir zugedachte Lebensaufgabe nicht erfüllen konnte, wenn ich mich an Markey hängte.
An dem Tag, als wir unsere erste Entdeckungstour durch Dublin unternahmen, kontrollierte er auch als Allererstes meine Schuhe.
»Vor vielen Jahren befand sich hier eine große Brauerei«, erklärte er, als er mich damals durch ein Viertel führte, das ich nicht kannte. Schmale Gassen führten zwischen massiven Mauern auf ein vernachlässigtes offenes Gelände. »Siehst du? Die Arbeitersiedlungen.« Er deutete auf eine Reihe roter Backsteinhäuser
am Rand. »Sie hatten sogar Badezimmer«, sagte er. »Damals gab es in Dublin Vollbeschäftigung, und die Fabrikanten mussten gute Unterkünfte anbieten, um Arbeiter anzulocken.« Zwischen den holprigen Pflastersteinen wucherte das Gras. »Die Pferde wurden von Lincolnshire hergebracht. Ich habe mir schon oft überlegt, ob sie am Ende ihres Arbeitslebens wohl auch ein offizielles Begräbnis bekamen. Die Menschen schließen ihre Pferde sehr ins Herz. Warst du schon mal im Royal Hospital, wo früher die Veteranen untergebracht wurden? Da gehen wir demnächst mal hin. Fantastisch getrimmte Hecken. Also dort ist ein Pferd begraben. Aufrecht stehend, heißt es. Der Offizier, dem es gehörte, hat ein Gedicht geschrieben, das in seinen Grabstein eingemeißelt wurde. Am Schluss heißt es, dass es Männer gibt, die auf ein Wiedersehen mit ihren Pferden hoffen:
Und Gottes stumme Kreatur,
Auf Erden von uns heiß geliebt,
Begrüßt uns nun am Himmelstor -
Ich glaube fest, dass es dies gibt. «
Da stand Markey, zwischen lauter Unkraut, vor einem Gebäude, das früher vermutlich einmal eine Lagerhalle gewesen war, und rezitierte diese Zeilen. Ich hatte es
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