Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
macht es keinen Unterschied?«
Ich drehte mich weg. Sie sollte nicht sehen, dass ich rot geworden war. Wie konnte ich nur so taktlos sein, Tess das zu fragen! Ihre Augenbrauen waren nämlich verdächtig gleichmäßig rotbraun.
»Warum müssen wir das alles überhaupt aushalten?«, brummte ich. »Man könnte denken, dass wir dafür belohnt werden, wenn wir das Alter tapfer auf uns nehmen, aber stattdessen sterben wir anschließend nur.«
Tess wollte schon ihre Jacke anziehen, aber dann hielt sie inne, kam zu mir und umarmte mich ungeschickt.
»Nimm’s nicht so schwer, Kindchen«, sagte sie. Mir schossen Tränen in die Augen, weil die sonst so strenge, herrschsüchtige Tess auf einmal richtig lieb zu mir war. »Und hör einfach auf, dir ständig Sorgen zu machen. Du denkst wie die Personen in den Büchern, aber für die meisten Leute gilt das nicht. Ich weiß ja auch nicht, warum wir auf der Welt sind, und die anderen wissen es genauso wenig, aber es spielt auch keine Rolle.«
»Du bist die geborene Mutmacherin«, sagte ich zärtlich und begleitete sie zur Haustür.
Was war eigentlich aus Tessas Plan geworden, Andy Sutton zu heiraten?, fragte ich mich. Wenn das Leben für sie so einfach war, wie sie behauptete, weshalb hatte sie dann die geplante Hochzeit mit keinem Wort mehr erwähnt?
Nachdem sie gegangen war, setzte ich mich an den Tisch. Draußen wurde es immer grauer, der Regen klopfte hartnäckig gegen
die Fensterscheiben. Also klappte ich meinen Laptop auf und schrieb eine Nachricht an Markey, um zu sehen, ob er da war.
RosieB an MarkC
Wie wär’s, wenn wir die »Gedanken« Letzter Ausgang vor dem Tunnel nennen würden?
Sofort kam das Antwort-Pling.
MarkC an RosieB
Rosie, bitte – etwas mehr Humor!
Aha, er war also da.
Ich hatte im Lauf der Jahre für mich ein Überlebens-Programm zusammengestellt – hätte ich das nicht gehabt, wäre ich noch öfter verzweifelt. Zum Beispiel, wenn die Fähre wegen eines Unwetters im Hafen festsaß, wenn ich zu einer Party nicht eingeladen wurde, wenn der Mann, mit dem ich zusammen war, nur selbst gestreichelt werden wollte, ohne mich zu berühren, wenn ein Mitbewohner verschwand, ohne seine Rechnungen bezahlt zu haben, wenn ich einen Job nicht bekam, wenn ich an Orte fuhr, die bei meiner Ankunft gar nicht existierten. Ich hatte lange auf eine Reise nach Athen gespart, und als ich dann den steilen Pfad zur Akropolis hinaufkletterte, waren die Steine so abgewetzt, dass sie aussahen wie Glas, und ich ging hinter einer molligen Frau in Hotpants und Stiletto-Sandalen her. Die Sonne brannte sengend heiß, der Parthenon verschwamm mir vor den Augen, und auf dem Rückweg merkte
ich, dass mir jemand das Geld aus der hinteren Hosentasche geklaut hatte.
Aber bevor ich nach einer Polizeiwache suchte, tat ich etwas ganz anderes: Ich setzte mich unter einen Baum und begann an den Fingern abzuzählen, welche positiven Dinge es in meinem Leben gab. Nummer eins war der Schatten des Baumes.
Wo war das rosarote Notizbuch? Da. Ich strich die paar Wörter auf der ersten Seite aus und schrieb:
Tipps für schwere Zeiten
1. Sei dankbar für das, was du hast.
2. Wasch dir das Gesicht und frisiere dir die Haare.
3. Räum deine Handtasche auf.
4. Überprüfe deine Finanzsituation ganz genau, auch wenn sie noch so mies ist.
5. Tu etwas Gutes.
6. Lächle alle Leute an, denen du begegnest – sie merken nicht, dass dir eigentlich nicht danach zumute ist.
7. Beziehe dein Bett frisch.
Mehr fiel mir nicht ein. Und überhaupt – Punkt Nummer 7 passte nicht, wenn man im Hotel war, oder? Es wäre doch abwegig, wenn man dort das Bett frisch beziehen wollte. Außerdem klang er doch sehr hausfrauenmäßig. Ich musste mir ein paar Punkte einfallen lassen, die für beide Geschlechter funktionierten.
Ich tippte die Liste in eine E-Mail und schickte sie an Markey, um ihm zu beweisen, dass ich nicht untätig war und meine Zeit nicht verplemperte.
Aus reiner Faulheit und weil ich nichts zu lesen hatte, wofür ich nicht hätte aufstehen müssen, öffnete ich den obersten Brief von Mins Poststapel. Es war ein brauner Umschlag mit einer
Harfe drauf, das heißt, er kam von irgendeiner staatlichen Behörde, und er war auch nicht zugeklebt. Also konnte es sich nicht um eine persönliche Mitteilung handeln. Was sowieso unwahrscheinlich war, weil Min nie Privatpost bekam, abgesehen von den Briefen, die ich ihr geschrieben hatte.
MINISTERIUM FÜR VERTEIDIGUNG/AN ROINN
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