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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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boshafte Bemerkungen meiner Granny, die sie mit einem leisen Lachen begleitete, um zu signalisieren, dass sie scherzte. Zum Beispiel: »Min sieht aus, als wäre sie gerade aus dem zerbombten Berlin geflohen.« Oder: »Min braucht nur noch einen großen Stock, dann kann sie Kühe hüten.«
    Meine Großmutter nahm mich mit in ihr Schlafzimmer und brachte mir Manieren bei. Ich musste meine Beine an den Knöcheln kreuzen und durfte nicht sprechen, bevor man das Wort an mich richtete, und ich musste immer etwas auf dem Teller zurücklassen. Ich war erst wieder glücklich, wenn ich endlich unter den Tisch kriechen konnte, wo ich mir zu Mins Füßen ein Haus eingerichtet hatte, hinter dem Tischtuch aus Chenille mit den Bommeln, die bis zum Boden hingen. Ich spielte, ich hätte eine Gaslampe dort unten – ich ahmte das knatternde Geräusch nach, das Grannys Gasheizung machte, wenn die Flamme blau brannte – und regulierte diese Lampe mit einem imaginären Schalter. Ich nahm die winzige Kehrschaufel und den dazugehörigen Besen mit nach unten und fegte imaginäre Krümel von einem imaginären Tisch. Einmal bekam ich große Schwierigkeiten mit Granny. Der Spiegel an ihrem Frisiertisch war locker; er kippte nach vorne, sodass man nur den Fußboden darin sehen konnte. Deshalb hatte sie die Zeitschrift Der Bote des Heiligen Herzens seitlich in den Rahmen geklemmt. Das einzig Gedruckte in der ganzen Wohnung. Der Bote hatte ein knallrotes Titelblatt. Ich zog ihn heraus, nahm ihn mit unter den Tisch und leckte das Cover so lange ab, bis die Farbe sich löste und ich rote Lippen bekam, wie eine erwachsene Frau.
    Min sagte nichts, egal, ob ich von Granny geschimpft oder gelobt wurde. Man hätte denken können, sie würde mich nicht kennen.

    Die Erwachsenen aßen beigefarbene Hühnerbeine auf Salat, dazu Berge von weißen Kartoffeln, in Scheiben geschnitten und mit gelber Salatsoße angemacht. Anschließend schoben sie ihre Stühle zurück, nahmen das Tischtuch ab, und meine Großmutter stellte mit Schwung verschiedene halb volle Flaschen auf den Tisch.
    »Das Übliche?«, fragte sie und goss Min ein Gläschen Sherry ein – vor Dads Tod rührte Min in meiner Gegenwart sonst nie einen Schluck Alkohol an.
    Dann fingen sie an zu singen. Das Fenster hinter dem Kopf meiner Großmutter stand weit offen, und draußen schwirrten Vögel, die aussahen wie Schwalben, in der Dämmerung über den Garten. Meine Granny sang altmodische Lieder wie »I Dreamt I Dwelt in Marble Halls« oder »Roses are Blooming in Picardy«, und Min konnte die Melodie sofort mitsummen, wenn sie das Lied ein einziges Mal gehört hatte. Aber eigentlich interessierte Min sich nicht für alte Lieder. Einmal, als wir Enya im Fernsehen sahen, erzählte sie mir, dass in ihrer Kindheit die älteren Frauen hauptsächlich irische Lieder gesungen hatten – die Einwohner von Stoneytown stammten aus einer Ortschaft im County Waterford, wo es viele Kupferminen gab und alle Irisch sprachen. Aber Min wusste nicht, was die Wörter bedeuteten.
    Sie mochte besonders die Songs, die populär waren, als sie nach Dublin kam. »I’m all Yours in my Buttons and Bows!«, sang sie gern. Oder, wenn der Abend bereits fortgeschritten war: »Jealous Heart«.
    »Jealous heart, oh, jealous heart stop beating!«, sang sie hingebungsvoll, und mein Vater nickte und deutete sich auf die Brust, als würde der Text genau seine Gefühle ausdrücken.
    Ich hörte von meinem Versteck unter dem Tisch aufmerksam zu, oder ich beobachtete die Erwachsenen aus den Tiefen des roten Sofas am anderen Ende des Zimmers heraus.

    Ich nahm mir vor, ein bisschen zu recherchieren, also fuhr ich durch den Regen nach Süden, um zu sehen, ob es in der Bibliothek von Milbay irgendetwas über Stoneytown gab. Vielleicht in einem Buch über Lokalgeschichte. Ich hatte eigentlich nicht geplant, zum Milbay Point zu fahren. Aber gerade als ich aus der Stadt herausfuhr, hörte es auf zu regnen. Und ich sehnte mich danach, jedes Detail über das Haus herauszufinden, zum Beispiel, welche Farbe die Dachplatten nach dem Regen hatten und wie der Bach, der vom Hügel zum Strand floss, aussah, wenn er viel Wasser führte. Ich wollte nur kurz auf die Anhöhe klettern und hinunterschauen. Das dauerte nicht viel länger als eine halbe Stunde.
    Ich parkte neben der Telefonzelle beim Rastplatz im Wald, ging die Straße zum Haupttor des Trainingslagers entlang und folgte dann dem Pfad zur Anhöhe. Unterwegs musste ich immer wieder den Pfützen

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