Dunkle Umarmung
aber er hatte jede Einzelheit und jeden einzelnen meiner Körperteile so überspitzt dargestellt, daß es schon pornographisch wirkte.
Jeder konnte das sehen…
»Was ist los mit dir?« fragte er, und seine Augen verengten sich zu winzigen blauen Schlitzen.
»Tony, das kannst du doch nicht jedem zeigen. Es ist peinlich. Puppen haben doch keine… keine…«
»Genitalien? Nein, Puppen nicht, aber eine Porträtpuppe ist ein Kunstwerk, das sagte ich dir doch schon.«
»Nein!« schrie ich. »Ich kann nicht zulassen, daß du dieser Puppe mein Gesicht gibst. Ich kann es nicht zulassen.«
»Aber diese Puppe ist doch nur für dich da. Niemand sonst wird diese Puppe haben. Jeder wird eine von sich selbst wollen.«
»Aber alle werden sich vorher diese Puppe genau ansehen.«
»Sie wird angekleidet sein, wenn sie sie betrachten.«
»Aber warum hast du das dann gemacht?«
Er sah erst mich an und dann die Puppe, als läge die Antwort auf den Lippen der Puppe. Dann streckte er die Hand aus und streichelte zärtlich die Tonfigur. Als er das tat, trat ein verträumter Ausdruck in seine Augen, die in weite Ferne zu schauen schienen, wie ich es schon öfter bei ihm erlebt hatte.
»Weil es sich… wie ich schon sagte… um ein Kunstwerk handelt.«
»Nein, ich lasse nicht zu, daß du mein Bild daneben stellst.
Ich lasse es nicht zu!« beharrte ich.
Er starrte mich einen Moment lang an. Dann wurden seine Augen kalt, noch kälter denn je. Sie kehrten aus der Ferne zurück, verloren ihre Verträumtheit und richteten sich fest auf mich.
»Nun gut«, sagte er erbost. »Ich werde Änderungen vornehmen. Du bist jetzt fertig. Du kannst gehen.«
Ich ging zur Tür. Als ich mich umsah, stellte ich fest, daß er dastand und die Puppe anstarrte. Sein Gesicht war so starr und unbeweglich wie das einer Skulptur. Ich verließ das Häuschen und ging durch den Irrgarten. Ehe ich die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, begann ich zu rennen. Ich floh vor dem Abbild meiner selbst, nackt und entblößt vor aller Augen.
15. KAPITEL
ANGEL
Sosehr ich mich auch auf die Sommerferien gefreut hatte, war ich doch froh, als sie sich ihrem Ende zuneigten und ich bald wieder nach Winterhaven fahren konnte. Ich vermißte Jennifer.
Ich hatte ihr von der Puppe berichtet, aber ich hatte ihr nicht erzählt, daß ich nackt Modell gestanden hatte. Und ich kam nie dazu, sie zu besuchen. Nachdem meine Arbeit beendet war, fand Mama einen Grund nach dem anderen, um mich nicht fortzulassen. Sie wollte mich nach New York City mitnehmen, um mich für die Schule neu einzukleiden und auch sich selbst Kleider zu kaufen. Es war ein sehr hektischer Ausflug, denn fast schon im Moment unserer Ankunft entschied sie, daß es zu heiß war, um dortzubleiben. Wir verbrachten nur eine Nacht in New York und kauften lediglich in zwei Geschäften ein, ehe wir sofort wieder nach Farthy zurückkehrten.
Im Lauf des Augusts unternahm Tony viele Reisen, um im ganzen Land neue Absatzmärkte für sein Spielzeug und insbesondere für die Puppen aufzutun. Das fertige Produkt hatte ich selbst noch nicht gesehen. Er hatte getan, was er angekündigt hatte, und die Feinarbeit einem seiner besten Künstler übergeben, den er aus Europa hatte kommen lassen.
Tony sagte meiner Mutter und mir, er wollte nicht, daß wir die Puppe sähen, solange sie nicht fertig war.
Mit dem Wetterwechsel stellte sich bei Troy die nächste Allergie ein. Es wurde so schlimm, daß er Ende August eine Woche im Krankenhaus liegen mußte. Die Ärzte führten Dutzende von Untersuchungen an ihm durch und bemühten sich, die besten Gegenmittel für seine Beschwerden zu finden.
Ich ließ mich täglich von Miles zu ihm fahren, aber Mama kam kein einziges Mal mit. Sie schien immer gerade etwas anderes zu tun zu haben.
Schließlich kam der Tag, an dem ich alles für meine Rückkehr nach Winterhaven gepackt hatte. Mit Regen und Wind stürmte der Herbst heran, und fast über Nacht nahm das Laub die Regenbogenfarben des Herbstes an. Die Temperaturen sanken, und der diesig blaue Himmel wies ein dunkleres und kräftigeres Blau auf.
Mich störte das nicht. Ich hatte den Herbst schon immer geliebt, seine Farben und seine böigen Winde geliebt. Ich hatte zwei Anrufe von Daddy erhalten, einen bei seiner Rückkehr aus Maine und direkt vor dem Aufbruch in die Flitterwochen und einen zweiten gleich danach. Jedesmal versprach er mir, wir würden uns sehen, aber es wurde nichts daraus. Wir beließen es dabei, daß ich meine
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