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Dunkle Umarmung

Dunkle Umarmung

Titel: Dunkle Umarmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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Häuschen. Es war ein strahlender Morgen. Vom Meer wehte nur eine laue Brise herüber, und die Wolken schienen an den strahlendblauen Himmel geklebt zu sein.
    Sogar die Vögel, die gewöhnlich geschäftig herumflogen und laut zwitscherten, waren fast verstummt. Die Stille und die Abgeschiedenheit des Irrgartens wirkte noch intensiver als sonst. Die Schatten waren dunkler, tiefer und länger, und der Duft der frisch geschnittenen Hecken drang beißend in meine Nasenflügel. Ich hatte jedoch nicht das Gefühl, mich durch tunnelartige Gänge zu bewegen, sondern kam mir vor, als versänke ich tiefer und immer tiefer in einer Welt der Geheimnisse. Aus irgendwelchen Gründen, die ich mir nicht erklären konnte, geriet ich in Panik und legte den Rest des Weges rennend zurück, bis ich vor dem Häuschen stand. Ich schnappte nach Luft. Dann kam ich mir albern vor und wischte mir mit dem Taschentuch das Gesicht ab, strich mein Haar zurück und betrat das kleine Häuschen.
    Tony war über die Tonform gebeugt und hielt seine Hände darüber, als wolle er sie gerade packen und an sich pressen. Er blickte abrupt auf, als ich eintrat, und dann richtete er sich eilig auf.
    »Ich konnte heute morgen nicht auf dich warten«, erklärte er.
    »Ich war so begierig, fertig zu werden. Setz dich einfach hin«, sagte er und wies auf das Sofa. »Das einzige, was ich heute morgen noch vorhabe, ist, dem Gesicht der Puppe den letzten Schliff zu geben. So«, meinte er, als ich mich gesetzt hatte und ihn ansah. »Du hast gestern also deinen Vater getroffen.« Er machte sich mit einem winzigen Werkzeug an die Arbeit.
    »Ja.«
    »Aber es ist nicht allzu gut gelaufen?« fragte er. Ich richtete schnell meinen Blick auf ihn. Er sah, daß ich mich fragte, woher er das wissen konnte. »Miles hat mir davon erzählt«, gestand er leise. »Ich habe aber nicht mit deiner Mutter darüber gesprochen.« Er zwinkerte mir zu. »Du offensichtlich auch nicht.«
    »Ich wollte sie nicht aus der Fassung bringen.«
    »Ja, aber was hat dich derart aus der Fassung gebracht? Was ist passiert? Dreh dich ein klein wenig nach rechts. Noch ein wenig. Ja, gut.«
    »Mein Vater hat wieder geheiratet«, sagte ich.
    »Und du hast bis dahin nichts davon gewußt?«
    »Stimmt.«
    Er schüttelte den Kopf. »Männer können solche Dummköpfe sein.« Er lächelte. »Du bist wohl nicht mit seiner neuen Frau zurechtgekommen?«
    »Ich war viel zu fassungslos. Ich nehme an, ich war ihr gegenüber ungerecht.« Ich hatte mir schon überlegt, daß ich meinem Vater und seiner Frau noch eine Chance hätte geben und mit ihnen zum Abendessen hätte gehen sollen. Jetzt war er auf dem Weg nach Maine, und ich konnte nichts mehr ändern.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß du jemanden ungerecht behandelst, Leigh. Es gibt keinen anderen Menschen, der so bezaubernd und rücksichtsvoll wie du ist. Ich sehe doch, wie du mit Troy umgehst«, sagte er lächelnd. »Ich weiß, daß ich ein jämmerlicher Ersatz bin, aber ich wünschte, du würdest mich als eine Art Vater ansehen können. Ich weiß, daß du mich für zu jung hältst, aber ich habe eine ganze Menge Erfahrung.« Er lächelte wieder, nahm eine andere Haltung ein und musterte mich, arbeitete weiter, hielt dann wieder inne und musterte mich erneut.
    »Jedenfalls«, sagte er nach einer Weile, »wenn du je irgendwelche Probleme hast, über die du mit deiner Mutter nicht sprechen kannst, dann wünschte ich, du kämst damit zu mir.«
    »Danke, Tony.«
    »Ich würde dir gern helfen.« Er arbeitete jetzt mit anderen Werkzeugen, schabte, kratzte, musterte mich, arbeitete weiter, und so ging es in einem fort, weit über eine Stunde. Schließlich richtete er sich auf und erklärte, er sei fertig.
    »Das war’s«, verkündete er. »Hiermit ist deine Arbeit abgeschlossen. Jetzt muß ich einen Abguß machen lassen. Ich glaube, ich werde die Malarbeiten einem meiner besten Künstler überlassen.«
    Ich war fertig? Meine Sitzungen als Aktmodell waren beendet? Wie unproblematisch dieser letzte Tag vorübergegangen war, aber ich hatte die fertige Skulptur noch nicht gesehen.
    »Darf ich mir die Plastik ansehen?«
    »Ja, natürlich«, sagte er und trat zurück. Er wies auf die Tonfigur. Ich stand langsam auf und ging um sie herum, um sie von vorn zu betrachten. In dem Moment, in dem ich sie ansah, lief mein Gesicht knallrot an, und ich schnappte nach Luft. Mir schwirrte der Kopf. Mir wurde erst glühend heiß und dann eiskalt. Mein Gesicht war perfekt getroffen,

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