Dunkle Umarmung
Küssen trösten würde…
Sie kam tatsächlich erstaunlich flink an meine Seite. Endlich mußte sie mir zuhören! Doch dann bemerkte ich ihre Augen –
immer ihre Augen! Sie zogen sich jetzt zu bedrohlichen Schlitzen zusammen und funkelten eisig. Oh, wie sehr ich mich fürchtete! Mein Magen zog sich zusammen, und mir wurde entsetzlich flau. Sie glaubte mir nicht! Mamas Augen verrieten immer ihre wahren Gefühle.
»Was?« fragte sie ungläubig. »Was ist denn das für eine alberne Geschichte? Sich dir aufgedrängt? Also wirklich, Leigh. Diese Teenager-Phantasien kennt man ja, aber findest du nicht, daß du etwas zu weit gehst?«
Ich schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Mama. Es ist keine Einbildung. Es ist passiert. Es ist wirklich geschehen.« Da ich endlich ihre volle Aufmerksamkeit auf mich gezogen hatte, mußte ich mich davor hüten, sie wieder zu verlieren. Ich mußte sie dazu bringen, mir zuzuhören. »Laß dir die ganze Geschichte erzählen, bitte. Bitte, hör mir zu.«
»Ich höre«, entgegnete sie, und ihr Gesicht verzog sich vor Abscheu.
»Vorgestern abend bin ich ihm zu dem Häuschen gefolgt.«
»Ihm gefolgt? Warum denn das?«
»Ich war neugierig und wollte wissen, warum er immer noch dort arbeitet.«
»Du hättest nicht einfach hinter ihm herschleichen dürfen, Leigh«, tadelte sie und warf mir Ungehörigkeit vor, ohne sich erst den Rest anzuhören. Ich ging nicht auf sie ein und redete weiter.
»Als ich vor dem Häuschen stand, habe ich durch ein Fenster geschaut und gesehen, daß er noch ein weiteres Bild von mir gemalt hat… von ihm und mir, aber er hat sich selbst nachträglich dazugemalt… nackt!«
»Ach, wirklich?« fragte sie.
»Im nächsten Augenblick ist er dann aufgetaucht, und er war nackt.«
»War er allein?« erkundigte sie sich eilig.
»Ja, aber… jedenfalls bekam ich Angst und rannte schnell wieder ins Haus. Nachdem ich mich ins Bett gelegt hatte, ist er reingekommen… nackt, und er ist über mich hergefallen, und er hat mich gezwungen, mit ihm zu schlafen.«
Sie starrte mich an. Auf ihrem Gesicht stand immer noch ein skeptischer Ausdruck.
»Das hat er getan! Und dann, gestern nacht… ich bin in dein Schlafzimmer gegangen, um mich dort einzuschließen und mich in Sicherheit zu bringen… ist er wieder zu mir gekommen. Er hatte einen Schlüssel. Anfangs dachte er, ich sei du, aber das hat nichts geändert. Er hat sich mir wieder aufgezwungen. O Mama, es war entsetzlich. Ich konnte mich nicht gegen ihn wehren.« Ihr Ausdruck blieb unverändert.
»Mama, hörst du denn nicht, was ich sage?«
Sie ließ die Schultern sinken und schüttelte den Kopf.
»Ich wollte über all das mit dir reden, nachdem ich mich hier wieder eingewöhnt habe«, sagte sie. »Ich hatte gehofft, es könnte warten, bis ich wieder halbwegs bei Kräften bin.«
»Mit mir über all das reden? Aber woher wußtest du davon?«
»Tony hat mich am Flughafen abgeholt. Er hat mir erzählt, wie du dich benommen hast. Er hat mir nicht erzählt, daß du ihm zu dem Häuschen gefolgt bist, aber er hat mir erzählt, daß du ihn aufgefordert hast, in dein Schlafzimmer zu kommen, und daß er dich splitternackt auf deinem Bett vorgefunden hat, als er zu dir kam.«
»Was? Er lügt.«
»Er hat gesagt, du hättest ihn an den Handgelenken gepackt und ihn auf dich gezogen und ihn angefleht, mit dir zu schlafen, aber er hat sich von dir losgerissen, dich ausgeschimpft und ist gegangen.«
»Mama, hör mir zu…«
»Er hat mir auch erzählt, daß du in mein Zimmer gegangen bist, um so zu tun, als seist du ich, damit er dich kein zweitesmal zurückweist. Er meinte, du hättest sogar eins meiner Nachthemden angezogen und dich mit meinem Parfüm eingesprüht.« Sie sah mich triumphierend an und schnupperte.
»Das ist doch mein Nachthemd, oder nicht? Und du hast mein Parfüm benutzt.«
»O Mama, das habe ich doch alles nur getan, um dir nahe zu sein. Ich hatte solche Angst.«
Als sie mich wieder ansah, war ihr das Mißtrauen deutlich anzusehen. Sie versuchte noch nicht einmal, es vor mir zu verbergen! In diesem Augenblick wogte schwelender Haß in mir auf. Nie zuvor hatte ich so für Mama empfunden. Nie! Sie glaubte mir nicht! Das einzige, was sie interessierte, war Tony… der widerwärtig reiche Tony… ihr junger, ekelhafter Ehemann.
Ich sah Mama zynisch an. O ja, mir war alles klar. Mama dachte gar nicht daran, ihre Position als Herrin von Farthinggale Manor zu gefährden. Was nutzte es ihr, wenn sie Tony dazu
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