Dunkle Umarmung
Bierflaschen. Er hob sie schnell auf und warf sie auf die Ladefläche. Der Sitz hatte Risse, und am Armaturenbrett baumelten lose Drähte. Er stieg ein und ließ den Motor an. Er stotterte und starb gleich darauf ab. »Komm schon, Lulu Belle, du solltest unseren Fahrgast beeindrucken und nicht so stur sein. Wie die meisten Frauen«, lachte er, »ist sie launisch.«
»Männer sind genauso launisch«, gab ich zurück.
Der Laster sprang an, und wir fuhren zum Zirkus.
»Hat deine Familie mit dem Zirkus zu tun?« fragte ich ihn.
»Meine Familie?« Er lachte wieder. »Himmel, nein. Mein Daddy war die meiste Zeit seines Lebens so eine Art Farmer und Schwarzbrenner. Ma ist eine hartarbeitende Frau. Sie hat sechs von meiner Sorte großgezogen, und ich fürchte, das ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen«, sagte er, und sein Gesicht wurde sanft und traurig. »Du weißt ja, wie man so schön sagt: Entscheidend ist nicht, wie weit man gereist ist, sondern wie schlecht die Straße war.«
»Sechs Kinder sind eine ganze Menge. Wie viele Buben und wie viele Mädchen?«
»Alles Buben, und das hat ihr Leben noch härter gemacht, nehme ich an. Sie hatte nie eine Tochter, die ihr bei der Hausarbeit geholfen hätte.«
»Wo sind deine Brüder?«
»Sie sind weit verstreut. Zwei sind schon auf Abwege geraten. Ehe ich von zu Hause fortgegangen bin, haben wir gehört, daß Jeff und Landon wegen Ladendiebstahls im Gefängnis sitzen.«
»Das tut mir leid«, murmelte ich. Ich hatte nie jemanden kennengelernt, dessen Brüder oder nahe Verwandte Verbrecher waren. Unwillkürlich fürchtete ich mich und fragte mich jetzt doch, ob es nicht ein Fehler gewesen war, mit ihm in den Lastwagen zu steigen.
»Ja, Mama hat es hart getroffen«, sagte er kopfschüttelnd.
»Was ist ein Schwarz… Schwarz…«
»Ein Schwarzbrenner? Junge, Junge, das klingt ja, als hättest du hinter hohen, dicken Mauern gelebt. Schwarzbrenner brennen Whisky, sie stellen ihn illegal her und verkaufen ihn unter der Hand. Sie haben ihre eigenen, selbstgebastelten Destillierapparate und produzieren diesen billigen Whisky, den sie dann überall verkaufen. Die meiste Zeit macht ihnen niemand Ärger, aber ab und zu kommt es vor, daß jemand vom Staat auftaucht. Ma paßt es nicht, daß Pa Whisky brennt, und daher tut er es heute kaum noch. In der letzten Zeit hat er seltsame Arbeiten angenommen, als Mädchen für alles. Er ist handwerklich sehr geschickt, ein guter Zimmermann. Wenn wir schon von Puppen und so was sprechen, du solltest mal die Holzfiguren sehen, die er schnitzt, wenn er Lust dazu hat. Er kann doch wirklich Stunden über Stunden auf unserer Veranda sitzen und an einem blöden Stück Holz rumschnitzen, und hinterher ist es dann ein Karnickel oder ein Eichhörnchen und sieht so echt aus, daß man meint, es könnte ihm jeden Moment aus der Hand springen.«
Ich lachte. Er hatte eine so bildhafte Ausdrucksweise, und doch klang alles so wahr, so realistisch und so aufrichtig. Ich mochte ihn, und in gewisser Weise beneidete ich ihn um das Leben, das er geführt hatte, und um die einfache Welt, in der er aufgewachsen war.
Er bog ein paarmal ab, und bald sah ich die orangefarbenen Zirkuszelte vor uns aufragen. Menschenscharen gingen ein und aus. Luke winkte einem Mann zu, der den Verkehr regelte, und dann kehrte er um, damit er durch eine Lücke in der Absperrung fahren konnte, die aus Pflöcken und Seilen bestand. Wir holperten über das Feld und kamen an den Elefanten vorbei, die uns mit wenig Interesse musterten, und dann hielt Luke hinter einem der kleineren Zelte an.
»Ich arbeite hier«, erklärte Luke. »Ich füttere die Tiere und reibe sie trocken. Das ist nicht der tollste Job, aber er gibt mir die Möglichkeit, beim Zirkus zu sein. Komm. Wir können deinen Koffer und deine Puppe ins Zelt bringen. Ich habe eine Matratze in der Ecke liegen. Das ist mein Platz. Dort macht sich niemand an deinen Sachen zu schaffen.« Er bemerkte mein Zögern und fügte hinzu: »Ein Gutes an den Zirkusleuten ist, daß sie sich niemals bestehlen. Das mag ich an ihnen – ihre moralischen Grundsätze. Das funktioniert viel besser als in der übrigen Welt.«
Ich stieg aus und folgte ihm ins Zelt. Dort standen Eimer und Reinigungsgeräte, Futtersäcke, Leinen und andere Gerätschaften. Ganz hinten lag eine alte Matratze auf einem Polster aus Heu. Das mußte sein Lager sein.
»Hier schlafe ich«, erklärte er. »Das sind meine Sachen.« Er deutete auf einen Rucksack. »Warum
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