Dunkle Umarmung
wuchs.
»Nach diesen Bauernhöfen«, sagte Luke, »wirst du die Häuser der Ärmsten im ganzen Tal sehen, die nicht viel besser dran sind als echte Hinterwäldler. Dort oben«, sagte er und deutete auf die Hügel, die vor uns lagen, »haben die Grubenarbeiter und Schwarzbrenner ihre Hütten.«
Ich sah gespannt zu den Hügeln hinauf. Die winzigen Häuschen, die sich über den Berghang verteilten, wirkten so friedlich und unaufdringlich, fast so, als seien sie dort gewachsen und Teil der natürlichen Umgebung.
»Es gibt hier auch reiche und wohlhabende Menschen«, erklärte Luke und wies auf den hintersten Winkel des Tales.
»Siehst du, wo der fruchtbarste Schlamm von den Bergen von den heftigen Regenfällen im Frühjahr heruntergeschwemmt wird? Er landet in den Gärten von Winnerrow und gibt denen, die es am wenigsten brauchen, fruchtbaren Boden. Sie pflanzen dort Tulpen, Narzissen, Iris, Rosen und alles andere an, was ihr reiches, kleines Herz begehrt«, fügte er bitter hinzu.
»Du kannst die Städter nicht allzu gut leiden, stimmt’s, Luke?« fragte ich. Er schwieg einen Moment, und dann stieß er die Worte durch zusammengebissene Zähne hervor.
»Wir werden durch die Hauptstraße fahren, und dann siehst du, daß dort die Gewinner leben. Nach dieser Reihe von Gewinnern heißt vielleicht die ganze Stadt.«
»Gewinner?«
»Die Besitzer der Kohlenbergwerke haben sich hier auf Kosten der Verlierer ihre großen Häuser gebaut: Bergarbeiter, die an Lungenkrankheiten und dergleichen sterben. Dann gibt es noch die Besitzer der Baumwollentkörnungsmaschinen, die den Stoff für Bett- und Tischwäsche herstellen, und die Besitzer der Baumwollspinnereien, in denen die unsichtbaren Fusseln durch die Luft schweben und von so vielen Arbeitern eingeatmet werden. Das Zeug setzt sich in ihren Lungen ab, und niemand hat je einen der Besitzer auf Schadenersatz verklagt«, sagte er erbost.
»Hast du oder hat einer deiner Familienangehörigen je in den Minen oder in den Spinnereien gearbeitet, Luke?« fragte ich.
»Meine Brüder haben eine Zeitlang dort gearbeitet, als sie noch jünger waren, aber sie konnten nie länger in einer Stellung bleiben und sind dann weitergezogen. Mein Pa dachte gar nicht daran, eine solche Arbeit anzunehmen. Lieber hat er sich abgemüht, um von der Feldarbeit zu leben.
Zwischendurch hat er seltsame Jobs angenommen, oder er hat schwarzgebrannten Whisky verkauft. Ich kann nicht sagen, daß ich ihm das vorwerfe.
Eins sollte ich dir gleich vorweg sagen, Angel: Die Städter können die Leute aus den Bergen nicht besonders gut leiden.
In der Kirche müssen wir in den hintersten Reihen sitzen, und sie halten ihre Kinder von unseren Kindern fern.«
»Aber das ist ja entsetzlich, Luke. Wie kann man solche Dinge nur an kleinen Kindern auslassen?« rief ich und versuchte, mir auszumalen, wie sehr ihn das früher getroffen haben mußte. »Niemand sollte sich besser als andere vorkommen.«
»Gut, aber erzähl das mal dem Bürgermeister von Winnerrow«, sagte er lächelnd. »Ich wette, das brächtest du fertig. Ich kann es kaum erwarten, dich in die Kirche mitzunehmen, Angel. Ich kann es kaum erwarten«, sagte er kopfschüttelnd.
Wir kamen an eine Weggabelung, und Luke bog nach rechts ab. Hier endete die Teerstraße, und wir fuhren über harten Lehm und Kies. Wir fuhren immer weiter durch die Wälder und kamen schließlich auf einen holprigen Feldweg. Die Gerüche von Geißblatt, Walderdbeeren und Himbeersträuchern stiegen in meine Nase. Hier in den Bergen von West Virginia war es kühl und frisch und klar, und ich fühlte mich sofort lebendiger. Es war, als reinigte mich die Bergluft und schwemmte all das Schlechte aus meinem Körper.
»Wir sind fast da, Angel. Du brauchst nicht mehr lange durchzuhalten. Warte nur, bis Ma dich erst mustert.«
Ich hielt den Atem an. Wo lebte seine Familie? Konnte sie so tief in den Wäldern leben? Wie konnten sie hier ein Haus mit Rohren haben, die an eine Kanalisation oder an die Wasserversorgung angeschlossen waren? Und wo waren die elektrischen Leitungen und die Telefonkabel? Alles, was ich sah, waren Bäume und Sträucher.
Plötzlich glaubte ich, Musik zu hören. Luke strahlte über das ganze Gesicht.
»Pa sitzt auf der Veranda und fiedelt«, sagte er.
Wir fuhren um ein paar kräftige Bäume herum, die dicht zusammen wuchsen, und hielten an. Wir waren da – hier war Luke zu Hause. Ich konnte nicht vermeiden, daß ich erstaunt nach Luft schnappte. Zwei kleine
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