Dunkle Umarmung
zahlreichen Vorbereitungen für die Ausflüge, die die Passagiere unternehmen wollten, und damit, das Schiff ins Dock zu bringen. Die Spenser-Schwestern und ihre Eltern luden mich ein, mit ihnen in der Montego Bay essen zu gehen, aber ich wollte Daddy am ersten Abend ohne Mama nicht allein lassen, obwohl er darauf bestand, daß ich mitging. Mrs. Spenser hatte ihn um Erlaubnis gebeten, mich mitzunehmen. Wir bekamen vor dem späten Nachmittag keine Gelegenheit, wirklich miteinander zu reden. Ich schloß mich ihm in der Kapitänskajüte an, und nachdem er und der Kapitän ihre Gespräche beendet hatten und der Kapitän gegangen war, waren wir allein.
»Du solltest mit deinen Freundinnen essen gehen, Leigh. Ich möchte, daß du deinen Spaß hast.«
»Aber, Daddy, ich dachte, wir beide würden zusammen zum Abendessen ausgehen.«
»Ich muß an Bord bleiben und noch einiges erledigen«, erwiderte er. »Ich habe vor, nur schnell einen Happen nebenbei zu essen.«
»Dann esse ich eben auch nur einen Happen und helfe dir bei allem, was du zu tun hast.«
»Nein, das wäre nicht richtig.« Er schüttelte den Kopf.
Dunkle und tiefe Schatten lagen um seine Augen. Mein Herz bebte. Ich hielt die Tränen zurück und schluckte.
»Warum mußte Mama uns im Stich lassen, Daddy? Hättest du den Schiffsarzt nicht dazu bringen können, mit ihr zu reden?«
Er schüttelte den Kopf. »Es war nicht nur die Seekrankheit, Leigh. Sie war von Anfang an nicht allzu glücklich über diese Kreuzfahrt.«
»Aber warum, Daddy? Sie hat doch ständig davon gesprochen, oder nicht? Sie wollte doch unbedingt nach Jamaika fahren. So viele ihrer Freundinnen sind hier gewesen.
Hat sie nicht selbst damals diese Werbung aus einer Zeitschrift in deinem Büro aufgehängt, die mit dem Text: ›Kommen Sie nach Jamaika – da ist es ganz anders als zu Hause‹?«
Daddy nickte. Dann seufzte er.
»Wenn sie als Passagier hätte reisen können und nicht als die Frau des Eigners, hätte es ihr mehr Spaß gemacht«, sagte er traurig.
»Aber warum, Daddy? Sie hatte doch keine Arbeit damit, und wir haben die beste Unterkunft auf dem ganzen Schiff. Du hast alles getan, was sie von dir verlangt hat.«
»Ich fürchte, nein, Leigh. Deine Mutter ist enttäuscht von mir.«
»Aber warum?« rief ich. »Du gibst uns doch alles. Wir haben ein wunderschönes Zuhause, und wir können uns fast alles kaufen, was wir haben wollen. Alle meine Freundinnen beneiden uns.«
»Manchmal sind diese Dinge eben nicht genug«, murmelte er. Er sah mich lange an und bedachte mich dann mit einem tröstlichen Lächeln. »Manchmal siehst du ihr so ähnlich, besonders dann, wenn du enttäuscht bist, und doch bist du ganz anders als sie.«
»Bin ich das?« Es erstaunte mich, das aus seinem Mund zu hören. Er sagte doch immer, wir sähen wie Schwestern aus.
Lag es daran, daß ich noch nicht alles, was sie mochte, so sehr mochte wie sie?
»Worin unterscheiden wir uns, Daddy? Ich weiß, daß sie sehr hübsch ist und…«
»O nein«, sagte er eilig, »damit hat es nichts zu tun. Du wirst weit schöner als deine Mutter werden.« Es schockierte mich, ihn das sagen zu hören. Ich? Schöner als Mama?
»Und du wirst auch nicht so hart daran arbeiten müssen. Das soll nicht etwa heißen, daß deine Mutter nicht von Natur aus mit Schönheit gesegnet wäre. Keineswegs. Sie ist nur mehr mit sich selbst beschäftigt, als du es je sein wirst.«
»Wie kannst du dir so sicher sein, Daddy?« Ich wollte es wirklich wissen, denn ich glaubte ihm zwar, aber ich war selbst nicht sicher.
»Du hast andere Interessen, Leigh. Du hast einen wachen Verstand. Es wird dich viel zu sehr reizen, andere Dinge zu lernen.
Nicht etwa, daß du auch nur annähernd der Wildfang bist, zu dem ich dich nach der Auffassung deiner Mutter machen will.
Nein, ganz und gar nicht. Du bist durch und durch eine junge Dame.«
Wenn wir auch über ein trauriges Thema sprachen, so fielen diese Worte aus seinem Mund doch direkt in mein Herz und erfüllten es mit Liebe und Wärme.
»Deine Mutter ist immer noch eine sehr junge Frau, Leigh.
Vor Jahren, als ich sie in Texas das erste Mal gesehen habe, habe ich mir keine ernsthaften Gedanken über unseren Altersunterschied gemacht und auch nicht geglaubt, daß das einmal ein Problem sein könnte. Vielleicht war das die Blindheit der Liebe. Liebe kann wirklich blind machen, weißt du, wie strahlende Sonne, die sich im Wasser spiegelt. Man kann nicht direkt in den Widerschein hineinsehen; man
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