Dunkle Umarmung
und Mama erzählt hatte. Vielleicht konnte ich ihn dazu bringen, das eines Tages doch noch zu tun. Er drückte nie wirklich eine Abneigung gegen Großmama Jana oder Mamas Schwestern aus. Immer, wenn sie im Beisein von ihm über sie schimpfte und hetzte, nickte er einfach oder sah weg.
Ich wollte noch so viel mehr wissen. Hoffentlich würde er jetzt, da er mich als älter und reifer ansah, über diese Dinge mit mir reden.
Meine kurze Unterhaltung mit Daddy in der Kapitänskajüte hatte mich ein wenig aufgemuntert, so daß ich mit den Spensers essen gehen konnte. Sie nahmen mich in ein herrliches italienisches Restaurant mit, das sich Casablanca nannte. Die Tische waren im Freien aufgestellt, und es gab eine kleine Dreimannkapelle und einen Sänger, der romantische Lieder mit schmelzender Stimme sang. Mr. und Mrs. Spenser tanzten so eng zusammen und gingen so liebevoll und zärtlich miteinander um, daß es meinen Freundinnen peinlich war. Sie kicherten wie kleine Schulmädchen. Ich konnte verstehen, warum sie das Benehmen ihrer Eltern in Verlegenheit brachte, aber ich fand es wunderbar, einen Mann und eine Frau zu sehen, die so verliebt miteinander umgingen.
Unwillkürlich schloß ich die Augen und stellte mir vor, sie seien meine Eltern, stellte mir Mama und Daddy auf dieser kleinen Tanzfläche vor, über der die Sterne funkelten, während ihnen der Sänger ein Ständchen brachte.
Daddy hatte gesagt, daß Liebe blind macht. Wenn man sich verliebt, hat man dann überhaupt eine Gelegenheit, über all diese Dinge nachzudenken? Hat man die Gelegenheit, sich vorzustellen, wie es in vielen Jahren sein wird? Wenn ich hörte, wie Mama heute über Daddy sprach, hatte ich das Gefühl, sie hätte ihn nie geheiratet, wenn sie die Zukunft vorausgesehen hätte. Selbst dann nicht, wenn es für sie bedeutet hätte, bei ihren scheußlichen Schwestern in Texas zu bleiben.
»Wenn ich mich einmal verliebe«, sagte ich zu den Spenser-Schwestern, »dann möchte ich, daß es genauso ist wie bei euren Eltern.« Beide sahen mich an und konnten sich nicht entscheiden, ob sie lachen sollten oder nicht.
Es war alles so verwirrend für mich. Vielleicht hatte Daddy mir sagen wollen, daß Mama noch nicht richtig erwachsen geworden war.
Die Musik und die Sterne begannen jetzt, mich traurig zu machen. Ich war froh, als es Zeit war, zum Schiff zurückzukehren. Daddy sah uns an Bord kommen und sprach noch ein Weilchen mit Mr. und Mrs. Spenser. Er bedankte sich bei ihnen dafür, daß sie mich zum Abendessen mitgenommen hatten. Dann fragte er mich, wie es mir gefallen hatte.
»Es hat Spaß gemacht«, sagte ich, und das war zur Hälfte wahr und zur anderen Hälfte gelogen. »Aber ich kann kaum erwarten, daß wir beide morgen abend ganz allein zusammen essen, nur du und ich, Daddy.«
»Ach, du meine Güte«, sagte er, »das wird wohl bis übermorgen warten müssen. Es tut mir leid, aber morgen abend kommt ein sehr bedeutender Gast zum Abendessen an Bord – der Gouverneur der Insel. Das verstehst du doch, oder nicht, Prinzessin?«
Ich schluckte meine Enttäuschung schnell hinunter und setzte eine lächelnde Maske auf, wie Mama es immer tat.
»Ja, Daddy. Ich bin müde. Ich werde mich jetzt schlafen legen.«
Er gab mir einen Gutenachtkuß und ging dann in die Küche, weil er dort noch etwas nachsehen wollte. Ich eilte in meine Kabine und schloß die Tür hinter mir. Dann ließ ich mich auf mein Bett fallen und weinte.
Nachdem ich zehn Meere von Tränen vergossen hatte, war ich völlig ermattet. Ich rollte mich im Bett zusammen und drückte meinen prallen Teddybär in seinem Matrosenanzug an mich.
Ich konnte hören, wie die Tanzkapelle im Ballsaal über mir ein hübsches, nettes Lied spielte, wie das Wasser seitlich gegen das Schiff schwappte, und wenn ich noch genauer hinhörte, konnte ich meinen eigenen Herzschlag hören.
Nichts hätte mir das Gefühl noch größerer Einsamkeit vermitteln können. Ich war froh, als ich endlich einschlief.
5. KAPITEL
FAST EINE WAISE
Ich bemühte mich sehr, während unseres Aufenthalts in der Montego Bay ständig etwas zu tun zu haben, damit ich nicht immer wieder daran dachte, daß Mama nach Hause gefahren war. Die Spenser-Schwestern und ich freundeten uns schließlich mit zwei Jungen an, die sich anfangs gar nicht für uns zu interessieren schienen, wahrscheinlich, weil sie schon älter waren und fanden, es sei unter ihrer Würde, sich mit jüngeren Mädchen abzugeben. Beide gingen in eine Privatschule
Weitere Kostenlose Bücher