Dunkle Umarmung
Musik, die Gespräche, das Klirren der Sektgläser und das perlende Gelächter hinter uns herhallten, schlichen wir uns aus dem Ballsaal und durch den Korridor zu einem Wohnzimmer am hinteren Ende des Hauses. Troy stieß die Flügeltüren auf. Der Fußboden des Raumes war mit Hochzeitsgeschenken überhäuft, die sich stellenweise über einen Meter hoch stapelten.
»Sieh dir nur all das an!« rief er aus. »Tony hat gesagt, daß wir ihnen später beim Auspacken helfen dürfen.«
Ich konnte nur noch beeindruckt nicken. Troy lief zwischen den Geschenken herum, faßte da eines an und klopfte dort sachte gegen ein anderes, hielt sein Ohr dann an eines der Pakete, um zu lauschen, und so fand er Anhaltspunkte für das, was in den Päckchen stecken konnte. Ich lachte und schüttelte den Kopf.
»Bist du glücklich, Troy? Freust du dich, daß dein Bruder jetzt eine Frau hat und daß meine Mutter hier mit ihm leben wird?« Er brach seine Begutachtung der Hochzeitsgeschenke ab und sah mich ernst und finster an. »Troy? Es freut dich gar nicht?«
Er blieb stumm.
»Aber warum denn nicht?«
»Deine Mama mag mich nicht«, sagte er und sah aus, als würde er jeden Moment anfangen zu weinen.
»O Troy, ich bin ganz sicher, daß sie es nicht so meint. Es ist nur so, daß… sie hat eben bisher nie mit einem kleinen Jungen zu tun gehabt. Sie hat nur mich gehabt, und sie ist nicht an kleine Jungen gewöhnt. Mit der Zeit wird das bestimmt anders.«
Er zuckte wieder mit den Achseln, aber ich konnte ihm ansehen, daß er keine großen Hoffnungen hegte.
»Es tut mir leid, daß du dich nicht über die Hochzeit deines Bruders freust, Troy.«
»Aber ich freue mich doch! Du bist jetzt hier, stimmt’s?«
»Ja, ich bin jetzt hier.«
»Dann bin ich doch froh«, sagte er und klatschte in seine kleinen Hände.
»Das freut mich sehr«, sagte ich. »Eigentlich ist das auch das, was mir am besten gefällt.« Ich kniete mich vor ihn hin und drückte ihn an mich.
»Komm«, sagte er und ging auf die Tür zu. »Gehen wir wieder zur Party. Sonst verpassen wir den Kuchen.«
Ich warf noch einen Blick auf die Berge von Geschenken, ehe ich mit ihm in den Ballsaal zurückging.
Ein spezieller Tisch wurde in die Mitte des Saals gerollt.
Darauf stand eine turmhohe Hochzeitstorte, auf der unter den Worten HERZLICHE GLÜCKWÜNSCHE die Figuren der Braut und des Bräutigams tanzten. Mama und Tony wurden zu der Torte geführt, um sie anzuschneiden, wie es Sitte war. Mama schnitt behutsam das erste Stück heraus und fütterte Tony damit, der verzweifelt versuchte, eine gewisse Würde zu wahren, als Mama ihm das riesengroße Tortenstück in den Mund stopfte, doch der sahnige Tortenguß rann über sein Kinn und auf seine Smokingjacke. Alle jubelten und lachten. Ich wollte mich zu Großmama Jana setzen, um mit ihr Torte zu essen, doch plötzlich packte mich Mama am Arm.
»Es ist gut gelaufen, nicht wahr?« Sie sah sich stolz um. »Die Leute werden dieses Fest nie vergessen. Sie werden bis in alle Ewigkeit darüber reden. Wie geht es deiner Großmutter?«
fragte sie und warf einen Blick auf Großmama Jana, die in ein Gespräch mit einer anderen Frau in ihrem Alter vertieft war.
»Sie scheint sich sehr wohl zu fühlen.«
»Ich werde ruhiger schlafen, wenn sie erst wieder in Texas ist. Wer weiß, was sie diesen Leuten erzählt.« Ich fragte mich, ob Mama fürchtete, Großmama Jana würde mir die Wahrheit über ihre Vergangenheit verraten. Sie wandte sich zu mir um.
»Was ist?«
»Nichts, Mama.«
»Du siehst traurig aus. Wie kann jemand bei einem solchen Fest traurig aussehen?« Sie sah mich an und seufzte. »Du machst dir immer noch alle möglichen Sorgen, stimmt’s? Du schlägst wohl unfreiwillig deinem Vater nach, fürchte ich.« Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Sie konnte doch unmöglich derart offenkundige Lügen von sich geben. Vielleicht lag es daran, daß sie es schon so lange tat, dachte ich. Aber wie konnte ich das, was ich wußte, für mich behalten? »Komm mit«, sagte sie plötzlich.
»Was?«
»Komm einfach mit. Schnell. Ich möchte dir etwas zeigen.«
Sie nahm mich an der Hand und führte mich aus dem Ballsaal.
Wir stiegen eilig die Treppe hinauf.
»Wohin gehen wir?«
»In meine Suite.« Als wir angekommen waren, trat sie vor ihren Wandtresor. »Den habe ich mir für meinen Schmuck einbauen lassen«, erklärte sie, »und für meine Dokumente.«
»Dokumente?«
Sie lächelte nur weiterhin wie ein Kobold und öffnete ihren
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