Dunkle Umarmung
mir Mamas zahllose scheußliche Lügen enthüllen und mir erklären, warum sie außer sich gewesen war, als sie von Mamas Scheidung und ihrer Wiedervermählung erfahren hatte, doch dann wurden ihre Augen wieder freundlicher, und ihr Griff auf meinen Schultern löste sich.
»Ich hoffe, du wirst hier glücklich werden, Leigh, aber wenn es dir aus irgendwelchen Gründen schlecht geht, dann denk daran, daß du zu mir kommen kannst. Ich kann dir bei weitem nicht diesen Luxus bieten, aber es läßt sich recht behaglich bei mir leben«, sagte sie, und es klang so gar nicht, als sei sie die Menschenfresserin, als die Mama sie so oft hinstellte. Wieviel von dem Rest, den Mama mir über ihre Jahre in Texas erzählt hatte, mochte wirklich wahr sein?
»Danke, Großmama.«
Sie gab mir noch einen Kuß und stieg in die Limousine. Ich sah ihr nach, als sie abfuhr, und dann ging ich wieder ins Haus.
Bald darauf begannen die Gäste zu gehen.
Ich hörte, daß Mama meinen Namen rief, und ich sah Tony und sie gemeinsam die Treppe herunterkommen. Mamas Absätze klapperten auf den Marmorstufen. Wie weltgewandt und selbstbewußt sie wirkte, als sie Arm in Arm mit Tony auf mich zukam. Sie trug ihr schwarzes Wollkreppkostüm mit den Nerzbesätzen am Kragen und auf den Ärmeln. Unter ihrer Jacke schaute eine glitzernde weiße Chiffonbluse heraus.
Gegen diese dunklen Farben setzte sich Mamas Gesicht großartig ab. Sie schien ein Diamant zu sein, der auf einem Hintergrund aus schwarzem Samt funkelte.
Tony trug eine schwarze Lederjacke und einen leuchtendweißen Schal. Wie Mama sah auch er so frisch und munter aus. Ich konnte mir vorstelle, daß sie beide noch von dem aufregenden Tag aufgekratzt waren und auch von den Ereignissen, die ihnen noch bevorstanden. Sie wirkten beide so jung und lebhaft und so unwahrscheinlich glücklich miteinander.
»Ist es zu glauben, daß es vorbei ist?« fragte Mama. »Du siehst hier Mr. und Mrs. Tony Tatterton vor dir. Was für ein Anblick sind wir, Leigh?« Sie schmiegte sich dicht an Tony.
»Ein wunderbarer Anblick«, sagte ich mit der lebhaftesten Stimme, die ich aufbieten konnte, aber das stellte Mama nicht zufrieden. Ihr Lächeln verblaßte.
»Wir reisen jetzt ab. Du hast alles, was du brauchst, und du weißt alles, was du wissen mußt. Ich wünschte, ich könnte am Weihnachtsmorgen bei dir sein, wenn du deine Geschenke auspackst, aber ich weiß, daß du mich verstehst.«
»Versuch zu verhindern, daß Troy seine Geschenke schon vor Weihnachten auspackt«, sagte Mamas gutaussehender frischgebackener Ehemann, dessen Blicke mir ständig zu folgen schienen und dessen Lächeln so spöttisch und vielsagend war.
»Du hast ihm versprochen, daß er die Hochzeitsgeschenke auspacken darf«, erinnerte ich Tony und riß meinen Blick von ihm los.
»Das wollen wir tun, wenn wir aus den Flitterwochen zurückkommen«, stöhnte Mama. »Er wird eben damit warten müssen.«
»Ach, ich wüßte nicht, was es schaden könnte, wenn er schon ein paar Päckchen auspackt«, ließ sich Tony erweichen. »Sorg nur dafür, daß er nicht alles durcheinanderbringt.«
»Das tut er ganz bestimmt, so klein, wie er noch ist«, klagte Mama. »Aber ich will im Moment an nichts denken, was auch nur im entferntesten unangenehm sein könnte. Auf Wiedersehen, Leigh, mein Schatz.« Sie umarmte mich, und trotz all der Wut, die sich in mir aufgestaut hatte, erwiderte ich ihre Umarmung mit einer Heftigkeit, die sie wohl überraschte.
Urplötzlich wollte ich nicht, daß sie fortfuhr, denn in meinem tiefsten Inneren brauchte ich sie jetzt.
»Ich wünsche dir ein schönes Weihnachten und Neujahr in deinem neuen Zuhause. Sieh dich um«, sagte Tony. »Wenn du das Haus erkundest, wirst du so lange brauchen, bis unsere Flitterwochen um sind.«
»Aber bitte… geh nicht in den Irrgarten«, warnte mich Mama.
»Einverstanden, Mama. Ich wünsche euch viel Spaß«, brachte ich erstickt heraus.
»Darf ich meiner Stieftochter einen Abschiedskuß geben?«
fragte Tony. »Auf Wiedersehen, Leigh. Bis bald.« Mit seinen langen Armen zog er mich an sich, und selbst durch das Leder fühlten sie sich stark und muskulös an. Er küßte mich auf die Wange, aber nicht weit von meinem Mundwinkel. Mama schien zu bemerken, wie lange er mich im Arm hielt und wie zart und liebevoll er mich küßte. Dann hängte sie sich bei ihm ein, und sie gingen. Curtis öffnete ihnen die großen Flügeltüren und schloß sie dann hinter ihnen.
Ich hörte die Stimmen einiger
Weitere Kostenlose Bücher