Dunkle Visionen
Dann erzählte sie begeistert von einem Film, den er versäumt hatte.
Und er war gut zu ihr. Er hörte zu. Er gab nicht vor zuzuhören, er hörte wirklich zu. Als er sie nach dem Film ausfragte, interessierten ihn ihre Antworten tatsächlich.
Während sie, ab und zu einen Schluck von ihrer heißen Schokolade nehmend, zuhörte, verspürte Madison wieder Bedauern in sich aufsteigen. Seine Frau und sein Kind hätten leben sollen. Er wäre ein wunderbarer Vater gewesen.
Schließlich unterbrach sie das muntere Geplapper ihrer Tochter. „Carrie Anne, du musst jetzt ins Bett.“
„Ja gut, Mommy.“
„Willst du bei mir schlafen?“
„Nein.“
Sie küsste ihre Mutter. Dann küsste sie Kyle, und Madison brachte sie in ihr Zimmer. Nachdem sie Carrie Anne ins Bett gesteckt hatte, ging sie zurück in die Küche, allerdings nur, um festzustellen, dass Kyle sich bereits in sein Zimmer zurückgezogen hatte. Sie tat dasselbe.
Es wurde eine sehr lange Nacht.
Am Samstagmorgen gleich nach dem Aufwachen beschloss Madison, sich mit dem Frühstück Mühe zu geben.
Der Kaffee wartete bereits fertig in der Küche, und als sie an Kyles Tür klopfte, sah sie, dass er schon vor seinem Computer saß, den er auf dem Tisch am Fenster aufgestellt hatte. „Entschuldige, dass ich dich störe. Danke“, sagte sie und hob ihre Kaffeetasse.
Er nickte kurz.
„Ich wollte dich nicht von der Arbeit abhalten.“
„Schon gut.“
„Ich mache Carrie Anne Frühstück. Willst du auch etwas?“
„Klar.“
„Ich schicke Carrie Anne rauf, wenn es fertig ist.“
Sie sagte sich, dass sie es nicht nötig hatte, ihn mit ihren hausfraulichen Fähigkeiten zu beeindrucken – oder deren Ermangelung. Sie war nicht unbedingt eine begnadete Köchin, aber was sie zubereitete, schmeckte. Sie entschied sich für French Toast, Erdbeeren mit Schlagsahne, Omelette mit Pfeffer, Pilzen und Zwiebeln, frisch gepressten Orangensaft … und am Ende brach sie mit allen guten Vorsätzen und briet auch noch Speck. Sie liebte gebratenen Speck, obwohl sie sich dieses Vergnügen nur äußerst selten gönnte.
Carrie Anne half ihr beim Tischdecken. Der Tisch stand in einer gemütlichen Ecke im hinteren Teil der Küche, von wo aus man den abgeschirmten Swimmingpool und den Patio übersehen konnte. Madison hatte nach ihrer Scheidung eine Menge Geld ausgegeben, um dieses Haus zu kaufen, weil sie geglaubt hatte, dass sich mit einem neuen Haus ein neues Leben am besten beginnen ließe. Sie liebte das Haus noch immer, obwohl es ihr manchmal schrecklich groß für sie und Carrie Anne vorkam. Ein junges Paar mit einem Baby hatte es sich bauen lassen, jedoch nie darin gewohnt, weil der Mann kurz vor seiner Fertigstellung nach Toronto versetzt worden war, und sie hatten an alle möglichen wunderbaren Extras gedacht. Die Frühstücksecke war nur eins davon. Sie hatte ein Erkerfenster, von wo aus man eine herrliche Aussicht hatte.
„Whow!“ sagte Kyle, als er mit Carrie Anne hereinkam. Er trug abgeschnittene Jeans, Sandalen und ein schwarzes Tanktop, auf dessen Brust der Name einer berühmten Rockgruppe prangte. Eine Locke seines dunklen Haars fiel ihm in die Stirn, als ob er sich ständig mit den Fingern durchgefahren wäre, während er in seine Arbeit vertieft vor seinem Computer saß. In Gedanken versunken wiederholte er jetzt diese Geste, als er seinen Blick von Carrie Anne zum Frühstückstisch und dann zu Madison hinter dem Tresen wandern ließ. „Carrie Anne, bekommst du jeden Morgen so ein Frühstück?“ erkundigte sich Kyle.
Carrie Anne verneinte mit einem nachdrücklichen Kopfschütteln. „Ich ess sonst immer Cornflakes, und Mommy isst immer so Körner mit Rosinen drin.“
„Na, dann ist das ja heute etwas ganz Besonderes.“
„Ich fühle mich im Augenblick ein bisschen rastlos, nehme ich an“, murmelte Madison peinlich berührt. Sie schaute ihre Tochter vorwurfsvoll an. „Und an Wochenenden kochen wir immer.“
„Wirklich immer?“ hakte Kyle bei Carrie Anne nach.
Sie lächelte selig und zuckte unbestimmt die Schultern. Sie waren Verbündete geworden.
„Setzt euch hin und esst und hört auf, mich zu foltern“, befahl Madison. Als sie dabei war, Saft einzugießen, begann das Telefon zu läuten.
Carrie Anne flitzte zum Tresen und streckte die Hand nach dem Telefonhörer aus. „Darf ich oder soll sich der Anrufbeantworter einschalten, Mommy?“
„Ah, so siebst du also normalerweise deine Anrufe aus“, murmelte Kyle und nahm sich eine Scheibe
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