Dunkle Visionen
atemlos, ängstlich und brannte vor …
„Madison, fällt dir eigentlich etwas auf?“
„Was?“
Er zögerte. „Also, ich bin ja zugegebenermaßen nicht ganz auf dem Laufenden, aber …“
„Was aber?“
„Soweit ich es verstanden habe, nimmt Jimmy gewöhnlich deine Hilfe weniger deshalb in Anspruch, weil du die Opfer siehst und spürst, was sie spüren, sondern weil …“ er zögerte, als sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen anschaute, „… du manchmal auch den Mörder siehst. Nur diesmal scheint dir das nicht zu gelingen. Was glaubst du, was das zu bedeuten hat?“
Sie schüttelte den Kopf und schluckte schwer.
„Ich weiß es nicht“, sagte sie schließlich. „Du?“
Er schüttelte ebenfalls den Kopf. „Nein. Aber es ist wirklich merkwürdig. Und es macht mir Angst“, fügte er weich hinzu.
„Mir passiert schon nichts“, versicherte sie.
Er nickte. „Nein. Ganz bestimmt nicht. Gute Nacht, Madison.“
Diesmal drehte er sich um und ging den Flur hinunter. Sie hörte, wie er die Tür seines Zimmers öffnete …
Und schloss.
Sie nagte an ihrer Unterlippe, dann wandte sie sich in die andere Richtung um und ging in ihr Zimmer. Der Flur schien kein Ende zu nehmen.
Und in den Ecken lauerten düstere Schatten.
Kyle blieb noch lange auf. Er packte sein Notebook aus und schloss das Modem an, dann nahm er, trotz der späten Stunde, Kontakt mit Ricky Haines in Virginia auf. Ricky würde nichts Ungewöhnliches daran finden. Seine Frau arbeitete als Chemikerin beim FBI, und sie waren beide beruflich sehr engagiert.
Ricky klang ein bisschen verschlafen, aber er wurde gleich munter und erzählte Kyle, dass er gestern den ganzen Tag alle verfügbaren Informationen durch den Computer gejagt hätte auf der Suche nach Tätowierstudios, die in irgendeiner Verbindung zu den getöteten Frauen gestanden haben könnten. „Bis jetzt habe ich noch nichts rausfinden können, aber mach dir keine Sorgen, wir bleiben dran. Und wie sieht es bei dir aus?“
„Ich bin auch dran. Im Moment bin ich in Key West …“
„In Key West?“
„Meine Stiefschwester ist die Hellseherin, erinnerst du dich? Ich bin ihr hierher nachgefahren, weil ich irgendwie so ein komisches Gefühl hatte, frag mich nicht, woher.“
„Du weißt schon, was du tust, Kyle.“
Wusste er es wirklich? Es hatte keine Notwendigkeit bestanden, Miami zu verlassen. Er war nur so verdammt unruhig gewesen – was wahrscheinlich mit seinem Alptraum und dem Umstand, dass sie nicht ans Telefon gegangen war, zusammenhing –, dass er sie unbedingt hatte sehen müssen. Er war eigentlich nicht wirklich aus beruflichen Gründen hier. Und wenn der Fall gelöst werden würde, obwohl er nicht einmal in Miami war …
Der Fall würde nicht so schnell gelöst werden. Leider.
„Ricky, es gibt da noch etwas.“
„Was denn, Kyle?“
„Es sind alles Rothaarige.“
„Tatsächlich? Von dem Bild her …“
„Ich weiß, man sieht es nicht. Auf dem Foto, das ich dir geschickt habe, sieht es so aus, als hätte Maria Garcia dunkle Haare. Aber glaub mir, alle Opfer waren rothaarig.“ Er dachte an seine Stiefmutter. „Behalt das bei deinen Nachforschungen im Auge, okay?“
„Okay.“
Er bat Ricky, ihm jeweils alle neuesten Informationen zukommen zu lassen, dann verabschiedete er sich und wünschte ihm eine gute Nacht. Er saß noch eine Weile vor seinem Computer und studierte die Akten der vier Opfer. Debrah Miller, Julie Sabor und Holly Tyler waren allein stehend und nie verheiratet gewesen. Maria Garcia war geschieden. Sie hatte zwei kleine Kinder hinterlassen. Als sich ihr Bild auf dem Computerbildschirm aufbaute, wurde ihm ganz elend zumute. Manchmal gelang es ihm, die Dinge mit kühlem Kopf zu analysieren. Manchmal jedoch war es schlicht unmöglich, nicht wie ein Mensch zu reagieren und den Schmerz nicht zu fühlen.
Aus dem, was ihm vorlag, ließen sich keine Gemeinsamkeiten zwischen den Frauen erkennen – bis auf die roten Haare. Sie lebten und arbeiteten in ganz verschiedenen Teilen der Stadt. Sie hatten völlig verschiedene Berufe. Debrah war in Miami geboren, Julie kam aus New York; Maria war eine Immigrantin aus Kuba gewesen und Holly Tyler stammte aus Minnesota. Alles, was sie verbunden hatte, war die Tatsache, dass sie rothaarig, jung, lebenslustig und attraktiv gewesen waren. Vielleicht war das ja wirklich alles, und vielleicht war es auch genug.
Kyle rieb sich die Stirn und dachte über die Vorgehensweisen und Methoden von Serienmördern aus
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