Dunkler Grund
der Rührung in die Augen trieb.
Imogen hob kurz den Blick. Sie ließ Seife und Lavendel fallen, nahm Hester in die Arme und hielt sie so fest, wie Hester es ihr gar nicht zugetraut hätte.
»Wir werden gewinnen!« sagte sie grimmig. »Du hast diese Frau nicht getötet, und wir werden es beweisen. Mr. Monk ist vielleicht kein sehr freundlicher Mann, aber er ist verdammt klug, und er ist skrupellos. Erinnere dich, wie er den Fall Grey gelöst hat, obwohl niemand es für möglich hielt. Und er ist auf deiner Seite, meine Liebe. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben!«
Bei allen anderen Besuchern war es Hester gelungen, die Fassung zu bewahren, selbst bei Callandra, so schwer es auch war, aber jetzt war es ihr unmöglich. Das ständige Verleugnen wollte nicht mehr funktionieren. Sie klammerte sich an Imogen und weinte hemmungslos, bis sie so erschöpft war, daß eine Art Gleichmut der Verzweiflung über sie kam. Imogen hatte sie mit ihren Worten trösten wollen, statt dessen hatte sie damit ins Zentrum der bitteren Wahrheit getroffen, gegen die Hester seit dem Moment angekämpft hatte, in dem sie von den Coldbath Fields hierhergebracht worden war. Alles, was Monk oder sonst jemand für sie tat, würde möglicherweise nicht ausreichen. Manchmal wurden auch Unschuldige gehängt. Und wenn es Monk oder Rathbone hinterher auch gelang, die Wahrheit herauszufinden, für sie wäre es kein Trost mehr.
Etwas in ihr drängte danach, sich abzufinden, statt weiter dagegen anzukämpfen – gegen die Angst und gegen die Ungerechtigkeit. Vielleicht war es nur Müdigkeit, aber es erschien ihr besser als der verzweifelte Kampf.
Sie wollte nichts mehr hören von Hoffnung, denn die hatte sie bereits hinter sich gelassen, doch wäre es grausam gewesen, es Imogen gegenüber zuzugeben, und der neue Friede war zu zerbrechlich, um ihm zu trauen. Vielleicht gab es doch noch etwas in ihr, das sich an die Illusion klammerte? Sie wollte es nicht in Worte fassen.
Imogen trat zurück und sah sie an. Offensichtlich hatte sie die Veränderung bemerkt, denn sie sagte nichts und bückte sich, um die Seife und den Lavendel aufzuheben.
»Ich habe nicht gefragt, ob du die Sachen haben darfst«, sagte sie sehr sachlich. »Vielleicht solltest du sie verstecken.«
Hester schniefte und zog ein Taschentuch heraus, um sich die Nase zu putzen.
Imogen wartete.
»Danke«, sagte Hester schließlich, nahm die Sachen entgegen und steckte sie sich vorne ins Kleid. Die Seife war ein wenig unbequem, doch auch das war auf ganz eigene Art befriedigend.
Imogen ließ sich auf der Pritsche nieder, die Röcke bauschten sich zu einem riesigen Fächer um sie herum.
»Kriegst du auch mal andere zu Gesicht?« fragte sie interessiert. »Ich meine andere als dieses scheußliche Weib, das mich hereingelassen hat. Das ist doch eine Frau, oder?«
Hester mußte gegen ihren Willen lächeln. »O ja. Wenn du gesehen hättest, wie sie Oliver Rathbone mit Blicken verschlungen hat, dann wüßtest du’s.«
»Das ist nicht dein Ernst!« Imogen konnte es kaum glauben, sie mußte lachen. »Sie erinnert mich an Mrs. MacDuff, die Gouvernante meiner Cousine. Die haben wir immer furchtbar aufgezogen! Ich schäme mich, wenn ich daran denke. Kinder sind so grausam in ihrer Offenheit. Manchmal sollte man die Wahrheit lieber für sich behalten. Man darf sie ruhig im Herzen tragen, aber es lebt sich leichter, wenn man sie nicht ständig ansehen muß.«
Hester lächelte verlegen. »Genau das ist meine Situation, aber ich habe so wenig, womit ich mich ablenken könnte.«
»Hast du von Mr. Monk gehört?«
»Nein.«
»Ach.« Imogen war erstaunt, und plötzlich fühlte sich Hester von Monk im Stich gelassen. Warum hatte er nicht geschrieben? Er mußte doch wissen, wieviel es ihr bedeutet hätte, auch nur ein Wort der Ermunterung von ihm zu hören. Warum war er so gedankenlos? Aber das war eine dumme Frage, denn sie kannte die Antwort. Er hatte nicht viel Platz für zärtliche Gefühle, und die wenigen, die er besaß, richtete er auf Frauen wie Imogen – liebe, gutmütige und abhängige Frauen, die seine charakterlichen Stärken ergänzten – und nicht auf Frauen wie Hester, die er im besten Fall als Kampfgefährten betrachtete, wie jeden Mann auch, und im schlechtesten als rechthaberisch, kratzbürstig und dogmatisch, als Beleidigung ihres eigenen Geschlechts.
Loyalität und Gerechtigkeitssinn verlangten von ihm, nach der Wahrheit zu suchen, aber wenn man bei ihm auf Trost und Mitgefühl
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