Dunkler Grund
warm, das blonde Haar leuchtete unter der schwarzen Haube.
Sie stieg ruhig die Stufen hinauf, sprach mit fester Stimme die Eidesformel und wartete darauf, daß Gilfeather das Wort an sie richten würde. Nicht einer der Geschworenen wandte den Blick von ihr.
Gilfeather zögerte, als wisse er nicht recht, ob er auf das Mitgefühl der Geschworenen spekulieren solle, entschied sich jedoch dagegen. Er war geschickt genug, um des Guten nicht zuviel zu tun.
»Mrs. McIvor, haben Sie der Entscheidung Ihres Bruders zugestimmt, für Ihre Mutter eine Krankenschwester aus London kommen zu lassen?«
»Ja, das habe ich«, antwortete sie ruhig. »Ich gebe zu, daß ich es für eine ausgezeichnete Idee hielt. Ich glaubte, in ihr – zusätzlich zu ihren beruflichen Fähigkeiten und ihrer Reiseerfahrung – eine interessante Begleitung für meine Mutter gefunden zu haben.« Ihr Blick drückte Bedauern aus. »Meine Mutter ist in ihrer Jugend viel gereist, und ich glaube, diese Art Aufregung hat ihr manchmal gefehlt. Ich dachte, daß eine solche Frau sich mit ihr über fremde Länder unterhalten könnte und über Erlebnisse, die meine Mutter sicherlich interessiert haben.«
»Absolut verständlich«, nickte Gilfeather. »Ich glaube, ich an Ihrer Stelle hätte es ebenso empfunden. Und was diesen Teil Ihrer Vorkehrungen angeht, sind Sie ja wohl nicht enttäuscht worden.«
Oonagh lächelte schwach, sagte jedoch nichts.
»Waren Sie zu Hause, als Miss Latterly eintraf, Mrs. McIvor?« fuhr Gilfeather fort.
Alle diese Fragen hatte Monk vorausgesehen. Gilfeather stellte sie, Oonagh antwortete, und alle im Gericht hörten mit der angemessenen Aufmerksamkeit zu, bis auf Monk, der den Blick durch den Saal schweifen ließ, von einem Gesicht zum anderen. Gilfeather sah zufrieden, beinah selbstgefällig aus. Bei seinem Anblick mußten die Geschworenen glauben, daß er das Verfahren fest im Griff und keinerlei Zweifel an seinem Ausgang hatte.
Am Tisch der Verteidigung saß James Argyll und legte nachdenklich die Stirn in Falten. Er war ein kluger und energischer Mann, aber er war ein Mann ohne Waffen. Monk hatte versagt. Freiwillig sagte Monk sich das Wort immer wieder vor. Versagt. Jemand hatte Mary Farraline getötet, und er hatte nicht einen einzigen Hinweis auf den Täter oder das Motiv gefunden. Er hatte viele Tage Zeit gehabt, aber herausgefunden hatte er lediglich, daß Kenneth Farraline eine Geliebte mit langen, blonden Haaren und heller Haut hatte, die wild entschlossen war, niemals wieder zu frieren oder zu hungern oder bei fremden Männern im Bett zu schlafen, weil sie kein eigenes besaß.
Eigentlich hatte Monk für diese Frau mehr Sympathie als für Kenneth, der ihr mehr teure Geschenke machen mußte, als ihm lieb sein konnte, um sich ihre Gunst zu erhalten.
Aber selbst wenn Monks Hinweise für eine Prüfung der Geschäftsbücher ausreichten und Kenneth tatsächlich eine Unterschlagung nachzuweisen wäre, dann hätte man vielleicht einen großen Skandal, aber noch lange kein Motiv für einen Mord.
Monk sah zu Rathbone hinüber und verspürte, ganz gegen seinen Willen, ein wenig Mitleid mit ihm. Ein Fremder hätte nichts gesehen als einen Mann, der aufmerksam zuhörte, mit nachdenklichem Gesicht, den Kopf ein wenig auf die Seite gelegt, die dunklen Augen halb geschlossen, um sich durch nichts ablenken zu lassen. Aber Monk kannte ihn lange genug und sah ihn nicht zum erstenmal so angespannt. An der Haltung der Schultern unter dem eleganten Jackett, dem langsamen Offnen und Schließen der Hand auf dem Tisch erkannte er, welche Enttäuschung an dem Mann nagte. Was er auch dachte, welche Gefühle ihn innerlich auch aufwühlten – er war machtlos. Was immer er anders gemacht hätte, ob er die gesamte Strategie anders angelegt oder nur Akzente anders gesetzt hätte –, jetzt konnte er nur noch hier sitzen und abwarten.
Oonagh beantwortete gerade Gilfeathers Fragen zu den Vorbereitungen für Marys Reise.
»Und wer hat den Koffer Ihrer Mutter gepackt, Mrs. McIvor?«
»Ihre Zofe.«
»Nach wessen Instruktionen?«
»Nach meinen.« Oonagh hatte nur den Bruchteil einer Sekunde gezögert, blaß, aber mit erhobenem Kopf. Niemand im Saal rührte sich. »Ich hatte eine Liste der Dinge angefertigt, die eingepackt werden sollten, damit es Mutter an nichts fehlte, und… und es waren nicht besonders viele Abendkleider, dafür aber mehr einfache Tageskleider und Röcke. Der Besuch war ja eigentlich kein gesellschaftliches
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