Dunkler Grund
Ereignis.«
Mitfühlendes Gemurmel wehte wie ein leiser Windhauch durch den Saal. Die persönlichen Details ließen die schreckliche Realität des Todes noch deutlicher hervortreten.
Gilfeather wartete ein, zwei Sekunden, bevor er seine Befragung fortsetzte.
»Ich verstehe. Und natürlich haben Sie auf dieser Liste auch den Schmuck vermerkt.«
»Ja, sicher.«
»Haben Sie die Liste in den Koffer gelegt?«
»Ja.« Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht.
»Damit nicht aus Versehen etwas zurückblieb, wenn das Hausmädchen in London den Koffer für die Rückreise packte. Es kann sehr ärgerlich sein…« Sie mußte den Satz nicht beenden.
Wieder erfüllte der Geist der toten Frau den Saal. Im Publikum schluchzte jemand.
»Das bringt mich zu meiner nächsten Frage, Mrs. McIvor«, sagte Gilfeather nach ein paar Sekunden. »Warum hat Ihre Frau Mutter diese lange Reise nach London eigentlich unternommen? Wäre es nicht vernünftiger gewesen, Ihre Schwester nach Edinburgh zu holen? Hier hätte sie ihre ganze Familie um sich gehabt.«
»Normalerweise ja«, gab Oonagh ihm recht und hatte zu ihrem ruhigen, vernünftigen Tonfall zurückgefunden. »Aber meine Schwester ist noch nicht lange verheiratet und erwartet ihr erstes Kind. Sie mochte nicht reisen, aber sie wollte meine Mutter unbedingt sprechen.«
»Tatsächlich. Und wissen Sie auch, warum sie das wollte?«
Es herrschte absolute Stille im Saal. Als eine Frau leise hustete, klang es wie eine Gewehrsalve.
»Ja… Sie machte sich Sorgen, daß ihr Kind nicht ganz normal sein könnte, hatte Angst, es könnte eine erbliche Krankheit haben…« Wie Wassertropfen, deutlich artikuliert, fielen ihre Worte in das Becken gespannter Erwartung. Den Zuschauern stockte der Atem. Die Geschworenen saßen bewegungslos da. Der Richter war hellhörig geworden.
Rathbone hob den Blick.
Argylls Blick suchte Oonaghs Gesicht.
»Tatsächlich«, sagte Gilfeather sehr leise. »Und was wollte Ihre Mutter gegen diese Ängste tun, Mrs. McIvor?« Er fragte nicht nach der Natur der Krankheit, und Monk hörte das Flüstern und Stöhnen im Publikum, als hundert Menschen ihrer Enttäuschung Luft machten.
Oonagh wurde noch ein bißchen blasser. Sie hob das Kinn.
»Sie wollte ihr versichern, daß mein Vater schon lange vor ihrer Geburt erkrankt war und daß es sich keinesfalls um ein erbliches Leiden handelt.« Ihre Stimme war ruhig und sehr klar. »Es war ein Fieber, das er sich während seiner Zeit beim Militär in Übersee zugezogen hatte. Es zerstörte seine inneren Organe, bis er schließlich daran starb. Griselda war zu jung, um sich noch genau daran zu erinnern, und ich glaube nicht, daß man es ihr erzählt hat, als mein Vater starb. Niemand hatte gedacht, daß es sie interessieren könnte.« Sie zögerte. »Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Griselda sorgt sich über die Maßen um ihre Gesundheit.«
»Sie meinen, ihre Angst war völlig grundlos?« schlußfolgerte Gilfeather.
»Ja. Ziemlich grundlos. Aber das war ihr nicht leicht beizubringen, deshalb wollte Mutter hinfahren, um sie persönlich zu überzeugen.«
»Ich verstehe. Ganz natürlich. Jede Mutter hätte so gehandelt.«
Oonagh nickte ohne zu antworten.
Eine leichte Enttäuschung machte sich unter den Zuschauern breit. Bei manchen ließ die Aufmerksamkeit nach.
Oonagh räusperte sich.
»Ja?« reagierte Gilfeather sofort.
»Es fehlte übrigens nicht nur die graue Perlenbrosche«, sagte sie vorsichtig. »Und die haben wir ja wieder zurückbekommen.«
Gleich waren sie alle wieder wach.
»Tatsächlich?« Das interessierte Gilfeather.
»Sie hatte eine Diamantbrosche, die noch mehr wert war«, erklärte Oonagh ernst. »Sie wurde bei dem Juwelier unserer Familie in Auftrag gegeben, aber unter den persönlichen Dingen meiner Mutter war sie nirgends zu finden.«
Hester richtete sich kerzengerade auf und beugte sich vor, Fassungslosigkeit stand ihr im Gesicht.
»Ich verstehe.« Gilfeather starrte Oonagh an. »Und der geschätzte Wert der beiden Stücke, Mrs. McIvor?«
»Ach, so ungefähr hundert Pfund für die Perlen und ein bißchen mehr für die Diamanten.«
Der Richter runzelte die Stirn und beugte sich ein wenig vor.
»In der Tat eine beträchtliche Summe«, stimmte Gilfeather zu. »Damit könnte sich eine Frau, die nur von Gelegenheitsarbeiten lebt, so manchen Luxus erlauben.«
Rathbone zuckte so leicht zusammen, daß wohl nur Monk es bemerkte, und der kannte auch den Grund.
»Stand diese
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