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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Verkehr; Kutschen, Kabrioletts, Karren, Fuhrwerke aller Art kamen vorbei, Wasser spritzte aus den Rinnsteinen, die Räder zischten über die nasse Straße, die dunklen Felle der triefnassen Pferde glänzten. Die Kutscher saßen gebückt auf ihren Böcken, die Hände um die Zügel geklammert; mit hochgeschlagenen Mantelkragen und tief ins Gesicht gezogenen Hüten versuchten sie, meistens vergeblich, den Regen daran zu hindern, ihnen in den Nacken zu laufen.
    Ein kleiner Junge von acht oder neun Jahren war trotz des Regens damit beschäftigt, den Pferdemist aus der Kreuzung zu fegen, um den Fußgängern, die auf die andere Straßenseite wollten, einen sauberen Übergang zu ermöglichen. Er schien eine dieser glücklichen Seelen zu sein, die es verstehen, aus jeder Situation das Beste zu machen. Eine fadenscheinige Hose klebte ihm an den Beinen, die Jacke war zu lang und klaffte am Hals auseinander, aber eine riesige Mütze schien ihn vor dem Regen zu schützen. Er hatte sie schräg aufgesetzt, nur die untere Gesichtshälfte war zu sehen, deshalb war die große Zahnlücke in seinem Lächeln das erste, was einem auffiel.
    Monk wollte die Straße nicht überqueren, trotzdem warf er ihm einen Halfpenny zu, und Hester spürte eine plötzliche Hoffnung in sich aufsteigen. Der Junge fing die Münze auf und schob sie ganz automatisch zwischen die Zähne, um ihre Echtheit zu prüfen; dann erst tippte er sich an den Mützenschirm und rief Monk seinen Dank zu.
    Monk hielt einen Hansom an. Der Wagen stand noch nicht richtig, da riß er bereits den Schlag für Hester auf, kletterte nach ihr in den Fond und rief dem Kutscher Rathbones Adresse zu.
    »Sollte ich nicht zuerst die Brosche holen?« fragte Hester.
    »Damit er sie den Farralines zurückgeben kann.«
    »Ich glaube, Sie sollten ihm erst einmal Bericht erstatten«, erwiderte er und machte es sich auf seinem Sitz bequem, während die Kutsche sich in Bewegung setzte. »Zu Ihrer eigenen Sicherheit.«
    Sie fröstelte wieder. Schweigend ließen sie sich durch die nassen Straßen fahren. Sie dachte an Mary Farraline und daran, wie gern sie diese Frau gemocht hatte. Es fiel ihr schwer zu akzeptieren, daß sie so plötzlich und unwiederbringlich gegangen war.
    Monk unterbrach sie nicht in ihren Gedanken. Was ihn auch beschäftigen mochte, es absorbierte ihn vollkommen. Einmal warf sie ihm einen Seitenblick zu und sah, wie konzentriert sein Gesicht war: Der Blick nach vorne gerichtet, die Augenbrauen ein wenig nach unten gezogen, die Lippen geschlossen.
    Sie wandte den Blick wieder ab und fühlte sich ausgeschlossen.
    In der Vere Street hielt der Wagen. Nachdem Monk dann den Kutscher bezahlt hatte, gingen sie quer über den Gehsteig zum Eingang der Kanzlei.
    Auf ihr Läuten öffnete ein weißhaariger Kanzleidiener im Gehrock mit Eckenkragen die Tür.
    »Guten Tag, Mr. Monk«, sagte er förmlich. Hinter Monk erblickte er Hester. »Guten Tag, Miss Latterly. Bitte, kommen Sie doch herein. Ein schreckliches Wetter.« Er schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück, damit sie eintreten konnten.
    »Ich fürchte, Mr. Rathbone rechnet nicht mit Ihnen.« Er sah sie ratlos an, der Blick seiner grauen Augen war ganz ruhig, wie der eines desillusionierten Schulmeisters. »Es ist gerade ein Herr bei ihm.«
    »Wir warten«, sagte Monk finster. »Unsere Sache duldet keinen Aufschub.«
    »Natürlich.« Der Kanzleidiener nickte und deutete auf Sitzgelegenheiten, wo sie es sich bequem machen konnten. Monk lehnte ab und blieb ungeduldig stehen, starrte durch die gläserne Trennwand ins Büro, wo junge Kanzleischreiber in dunklen Jacken Klageschriften und Urkunden auf Kupferplatten kopierten und andere, ein wenig ältere Angestellte in gewaltigen Gesetzbüchern nach Verweisen und Präzedenzien suchten.
    Hester setzte sich, und schließlich nahm auch Monk Platz, aber nur, um gleich darauf wieder aufzuspringen, unfähig, ruhig sitzenzubleiben. Ein oder zwei der Männer hoben den Kopf, nachdem sie ihn aus den Augenwinkeln erspäht hatten, aber niemand sagte etwas.
    Die Minuten vergingen. Monks Gesicht verfinsterte sich zunehmend, er konnte seine Ungeduld nicht verbergen.
    Schließlich flog die Tür zu Rathbones Büro auf, und ein älterer Herr mit buschigem Backenbart kam heraus, drehte sich noch einmal um, sagte etwas und ging nach einer leichten Verbeugung hinüber zum Empfangstisch des weißhaarigen Kanzleidieners, der sich von seinem Platz erhob, um dem Herrn Hut und Gehstock zu reichen.
    Monk

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