Dunkler Grund
geschlagen. Säuft wie’n Loch, den ganzen Tag lang. Kaum dasser mal nüchtern is’. Is’ doch ’n Jammer, wenn so’n feiner Herr mit alle diese Möglichkeiten anner Flasche endet.«
»Ja, das ist ein Jammer. Wissen Sie warum? Ein tragisches Erlebnis?«
Sie schürzte die Lippen. »Nich’, daß ich wüßte. Aber was weiß ich denn schon? Einfach nur’n schwacher Mann, nehm’ ich mal an. Die Welt is’ voll davon. Suchen die Antwort auf alle Fragen im Schnaps. Und da denkt man doch, nach dem ersten Vollrausch oder so müßten’se klüger sein. Sind’se aber nich’!«
»Und der jüngste Sohn? Kenneth?« Das Thema Hector war offensichtlich erschöpft.
Sie zuckte wieder mit den Schultern, »’n junger Mann mit mehr Geld inner Tasche als Grips im Kopf. Aber das gibt sich mit der Zeit, nehm’ ich an. Ein Jammer, daß seine Mutter sich nu’ nich’ mehr kümmern kann, aber da is’ ja noch der Prokurator. Wär’ ja nich’ schön, wenn der Junge was Dummes anstellt und den guten Namen innen Dreck zieht. Oder die falsche Frau heiratet. Da wär’ er ja nich’ der erste junge Bengel, dem das passiert.«
»Arbeitet er nicht im Familienunternehmen?« fragte Monk.
»Doch, doch, ich glaub’ schon. Ich weiß nich’, was er macht, aber das könnt’ man ja leicht rausfinden.« Ein seltsamer Ausdruck leuchtete in ihren Augen: Neugier, Zweifel und eine Art Erregung. »Meinen Se etwa, daß einer von denen die eigene Mutter umgebracht hat?« Aber die Vorsicht gewann wieder die Oberhand. »Nie und nimmer! Sind doch alles ehrenwerte Leute, Mr. Monk. Hoch angesehen. Spielt ’ne wichtige Rolle in der Stadtverwaltung, der Mr. Alastair. Und nebenbei isser noch Prokurator.«
»Nein, ich halte es auch nicht für wahrscheinlich«, lenkte Monk ein. »Aber es könnte ja eins der Hausmädchen gewesen sein. Wäre ja möglich, und ich muß alles in Betracht ziehen.«
»Na klar«, stimmte sie zu, strich sich die Schürze glatt und wollte gehen. »Also, ich wird’ jetzt mal sehen, daß ich weiterkomm’.« An der Tür drehte sie sich noch mal um. »Und Se bleiben ein oder zwei Wochen, richtig?«
»Richtig«, sagte er mit dem Anflug eines Lächelns. »Vielen Dank, Mrs. Forster.«
Sobald er seinen Koffer ausgepackt hatte, schrieb er einen kurzen Brief an Rathbone, um ihm seine Adresse mitzuteilen: Grassmarket Nummer 20, Edinburgh. Nach einem kurzen Mittagessen im Gasthof brachte er den Brief zur Post, bevor er sich wieder auf den Weg in die Neustadt zum Ainslie Place machte. Vielleicht wäre ein Pub in der Nähe ein guter Platz, um Nachforschungen über die Familie anzustellen. Sicher würden sich dort die Boten und Hausdiener auf einen Schluck einfinden. Natürlich müßte er außerordentlich diskret vorgehen, doch darauf verstand er sich. Das gehörte zu seinem Handwerk.
Aber dazu war es jetzt noch zu früh am Tag, und am Abend war er bei den Farralines zum Essen eingeladen. Er wollte den Nachmittag dazu nutzen, sich nach ortsansässigen Händlern zu erkundigen, bei denen die Farralines einkauften; am nächsten Tag konnte er sich immer noch um die Botenjungen kümmern und versuchen, etwas mehr über den Alltag der einzelnen Familienmitglieder zu erfahren.
Routinemäßig mußte er natürlich auch den Arzt, der Mary Farraline die Medizin verschrieben hatte, nach der richtigen Dosis befragen, und den Apotheker, der sie hergestellt hatte. Konnte ja sein, daß der Mann einen Fehler gemacht hatte, auch wenn er es natürlich abstreiten würde.
Und dann würde er alle anderen Apotheker in Edinburgh aufsuchen, um zu beweisen, daß Hester sich bei keinem von ihnen ein Herzmittel besorgt hatte, und natürlich hegte er insgeheim die schwache Hoffnung, einer von ihnen könnte einem Mitglied der Farraline-Familie ein solches Mittel verkauft haben.
In tadelloser Eleganz erschien Monk wie verabredet um sieben Uhr am Ainslie Place. McTeer begrüßte ihn mit derselben Leichenbittermiene wie am Morgen, war jedoch ausgesucht höflich und führte ihn in den Salon, in dem die Familie auf den Beginn des Abendessens wartete.
Der Raum war groß und sehr nüchtern eingerichtet, aber ihm blieb nicht die Zeit, ihn näher in Augenschein zu nehmen. Seine ganze Aufmerksamkeit wurde sofort von den Menschen in Anspruch genommen, deren Blicken er sich ausgesetzt sah, als er das Zimmer betrat. So manchem wäre das an die Nerven gegangen. Monk war zu besorgt und innerlich zu aufgebracht für solche Gefühle. Er trat ihnen mit hocherhobenem Kopf und
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