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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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festem Blick gegenüber.
    Oonagh kam als erste auf ihn zu. Natürlich war sie ganz in Schwarz gekleidet, wie die anderen auch. Um eine so nahe Verwandte wie eine Mutter hatte man mindestens ein Jahr zu trauern. Aber ihr Kleid war phantastisch geschnitten, sehr moderat in seiner Eleganz, die Ringe im Rock nicht zu groß; das Licht der Lampe schimmerte sanft in ihrem hellen Haar, so daß man denken konnte, sie habe die Farbe des Kleides nicht nur aus pietätischen Gründen, sondern auch der Wirkung wegen ausgewählt.
    »Guten Abend, Mr. Monk«, sagte sie freundlich. Sie lächelte nicht, und doch strahlten ihre Augen und ihre Stimme soviel Wärme aus, daß er sich willkommener fühlte, als er unter den gegebenen Umständen erwarten durfte.
    »Guten Abend, Mrs. McIvor«, erwiderte er. »Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit. Sie verwandeln eine unangenehme Pflicht in ein unvergeßliches Erlebnis.«
    Sie nahm das Kompliment so auf, wie es gemeint war – es war etwas mehr als nur eine Höflichkeitsfloskel. Dann drehte sie sich um und deutete auf den Mann, der neben dem Kaminsims stand, dem wärmsten und gemütlichsten Platz im ganzen Raum. Er war von etwas mehr als durchschnittlicher Größe und schlanker Gestalt, auch wenn er um die Hüften herum etwas rundlich zu werden schien. So wie sie hatte auch er blondes Haar, das jedoch stark gewellt war und sich über der Stirn bereits lichtete. Er hatte ein vornehmes, adlerartiges Gesicht, nicht besonders schön, aber zweifellos beeindruckend.
    »Das ist mein älterer Bruder Alastair Farraline, der Prokurator«, stellte sie ihn vor, um sich dann an Alastair zu wenden: »Ich habe dir ja erzählt, daß Mr. Monk aus London angereist ist, um sicherzustellen, daß der Prozeß keine unangenehmen Überraschungen bringen wird, nur weil wir uns zu sicher waren.«
    Alastair musterte Monk aus kühlen, sehr blauen Augen. Sein Ausdruck veränderte sich kaum, nur die Lippen strafften sich ein wenig.
    »Angenehm, Mr. Monk«, sagte er. »Willkommen in Edinburgh. Ich persönlich sehe keine Notwendigkeit für Ihren Besuch. Es erscheint mir übervorsichtig. Aber ich bin froh, daß die Londoner Staatsanwaltschaft die Angelegenheit so ernst nimmt und jemanden zu uns schickt, um sich Gewißheit zu verschaffen. Obwohl ich die Sorgen nicht ganz verstehe. Der Fall scheint mir eindeutig.«
    Monk unterdrückte die Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag. Er durfte nicht vergessen, warum er gekommen war. Nur die Wahrheit zählte, ganz egal, was es kostete, sie zu finden.
    »Sie haben recht«, stimmte er in überraschend scharfem Ton zu.
    »Die Verteidigung dürfte ganz schön verzweifelt sein bei der Vorstellung, vor die Geschworenen treten zu müssen.«
    Alastair lächelte düster. Ein leichtes Zucken der Augenlider verriet, daß ihm die Schärfe in Monks Tonfall nicht entgangen war, aber er schrieb sie wohl dem Abscheu vor dem Verbrechen zu.
    »Der Prozeß dürfte eine reine Formalität sein«, sagte er grimmig. »Um dem Gesetz Genüge zu tun.«
    Oonagh wandte sich einem dunkelhaarigen Mann zu, der sich ein wenig im Hintergrund hielt. Seine Züge unterschieden sich sehr von denen der anderen, er hatte ein breiteres, weit weniger kantiges Gesicht. Zweifellos war er ein angeheiratetes Mitglied der Familie. Er blickte finster und nachdenklich, ein Gesicht voller unterdrückter Emotionen.
    »Mein Mann, Baird McIvor«, stellte Oonagh ihn mit reizendem Lächeln vor, dabei immer noch Monk ansehend. »Er leitet seit dem Tod meines Vaters das Familienunternehmen. Möglicherweise wissen Sie das bereits?« Es war nur eine rhetorische Frage, um die anderen an den Grund von Monks Besuch zu erinnern.
    »Guten Abend Mr. McIvor«, sagte Monk.
    »Guten Abend«, erwiderte Baird. Er sprach sehr deutlich, mit leichtem Zischlaut, aber präziser Diktion; trotzdem war Monk ein regionaler Einschlag nicht entgangen, den er sofort als Yorkshire-Akzent identifizierte. Also war Baird McIvor nicht nur ein Engländer, er stammte auch noch aus einem der wildesten und stolzesten Landstriche, beinahe einem eigenständigen kleinen Land. Davon hatte Hester nichts gesagt. Vielleicht war der Tonfall ihr entgangen. Wie die meisten Frauen interessierte sie sich mehr für Beziehungen.
    Als nächstes wandte sich Oonagh einem Mann von kaum durchschnittlicher Größe zu; er hatte ein längliches Gesicht wie sie selber, und das Haar stand ihm in einem Kranz hellblonder, fein gekräuselter Locken um den Kopf. Oberflächlich betrachtet ähnelte er

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