Dunkler Grund
Gesichtern ansehen! Man müsse sich anhören, was sie zueinander sagten, wenn sie sich unbeobachtet glaubten!
Gegen fünf Uhr – es wurde bereits dunkel – gab Monk es auf. Es war schrecklich entmutigend. Es ließ sich fast nichts beweisen oder ausschließen, und ob nun die Schmuckkassette – wie Oonagh behauptet hatte – mit im Zug gewesen war oder nicht, spielte letztlich keine große Rolle.
Er war sehr niedergeschlagen. In drei Tagen hatte er fast nur Fragwürdiges erfahren. Nichts war gewiß, außer daß Hester die Gelegenheit gehabt hätte, daß die Mittel zur Hand waren, und daß sie wußte, wie sie sich ihrer bedienen mußte. Das Motiv war offensichtlich – die Perlenbrosche. Wohl kaum ein Motiv für ein Familienmitglied.
Er kehrte in den Salon zurück, zornig und gegen seine Verzweiflung ankämpfend.
»Haben Sie etwas erfahren?« fragte Eilish, als er hereinkam.
Er hatte sich bereits zurechtgelegt, was er sagen wollte, und es gelang ihm nur mit Mühe, die Fassung zu bewahren.
»Nur das, was ich erwartet hatte«, erwiderte er und zwang sich zu einem Lächeln.
»Ich verstehe.«
»Und? Was denken Sie?« Quinlan sah von seiner Zeitung hoch. »Sie glauben doch nicht, daß es einer von uns war, oder?«
»Warum nicht«, versetzte Baird. »Als Miss Latterlys Verteidiger würde ich genau das behaupten.«
»Tatsächlich?« Quinlan fuhr zu ihm herum. »Und was hättest du für einen Grund gehabt, deine Schwiegermutter zu ermorden, Schwager? Hattest du Streit mit ihr? Wußte sie etwas über dich, das wir anderen nicht wissen? Oder ging’s um Oonaghs Erbe? Vielleicht hat Mary von dir verlangt, daß du meine Frau nicht immer so anglotzt.«
Baird schoß aus seinem Sessel hoch und wollte sich auf Quinlan stürzen, aber Oonagh ging dazwischen, das Gesicht weiß wie die Wand.
Er bremste scharf ab, um sie nicht umzurennen.
Quinlan blieb ganz ruhig sitzen, ein höhnisches Lächeln spielte um seinen Mund.
»Hört sofort auf!« sagte Oonagh zwischen den Zähnen. »Das ist taktlos und ziemlich albern!« Zitternd holte sie Luft. »Baird, bitte… wir sind alle erschüttert über das, was passiert ist. Quinlan benimmt sich sehr schlecht, aber du machst es nur noch schlimmer.« Sie lächelte ihn an, hielt seinem wütenden Blick stand, und ganz langsam entspannte er sich und trat einen Schritt zurück.
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich, nicht bei Quinlan, sondern bei seiner Frau.
Oonaghs Lächeln wurde ein wenig selbstgewisser. »Ich weiß, du wolltest dich vor mich stellen, aber das ist nicht nötig. Quin war schon immer eifersüchtig. So geht es Männern mit schönen Frauen nun mal. Auch wenn es, weiß Gott, keinen Grund dafür gibt.« Sie wandte sich lächelnd an Quinlan. »Eilish gehört dir, mein Lieber, seit Jahren schon. Aber sie gehört auch zur Familie, und mit den Augen darf jeder ihre Schönheit bewundern. Du darfst es niemandem übelnehmen. Es schmeichelt auch dir. Eilish, meine Liebe…«
Eilish sah ihre Schwester an, feuerrot im Gesicht.
»Ich bitte dich, Quinlan zu versichern, daß du ihm treu bist. Ich weiß, du hast es schon oft getan… aber dieses eine Mal noch? Um des Friedens willen.«
Ganz langsam gehorchte Eilish, wandte sich zu ihrem Gemahl, blickte ihm direkt ins Gesicht und zwang ihre Lippen zu einem Lächeln. »Natürlich«, sagte sie leise. »Ich wünschte, du würdest nicht solche Dinge sagen, Quin. Ich habe nichts getan, um dir einen Grund dafür zu geben. Ich schwöre es.«
Quinlan sah zuerst Eilish und dann Oonagh an. Eine Sekunde lang rührte sich niemand, dann entspannte er sich und lächelte seinerseits.
»Sicher«, sagte er. »Natürlich hast du das nicht. Du hast ganz recht, Oonagh. Ein Mann, der solch eine schöne Frau hat, muß damit rechnen, daß die Welt sie bewundert und ihn beneidet. Ist es nicht so, Baird?«
Baird sagte nichts. Sein Gesicht blieb unergründlich. Oonagh wandte sich an Monk.
»Gibt es noch etwas, das wir für Sie tun können, Mr. Monk?« fragte sie, ließ Baird stehen und trat auf Monk zu. »Vielleicht in ein, zwei Tagen, falls Ihnen noch etwas einfällt und Sie dann noch in Edinburgh sind?«
»Vielen Dank«, akzeptierte Monk eilig. »Ich werde sicher noch etwas bleiben. Ich muß mich noch um andere Dinge kümmern, Beweise, die jeden Zweifel ausschließen.«
Sie fragte ihn nicht, was er dabei im Sinn hatte, sondern schritt anmutig zur Tür. Er verstand die Aufforderung zum Abschied, folgte ihr, wünschte den anderen einen guten Abend und
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