Dunkler Rausch der Sinne
ihn aus ihren großen Augen anstarrte.
Sie schlüpfte mit den Armen in den dicken Baumwollstoff und zog den
Morgenmantel über der Brust zusammen. Ihre Augen ruhten unverwandt auf seinem
Gesicht. Du könntest auch einen brauchen.
Er schüttelte den Kopf über ihre Schamhaftigkeit, schaffte aber ihr
zuliebe einen zweiten, viel größeren und weiteren Morgenmantel herbei. Er
konnte sehen, wie sie sich entspannte, sobald sein Körper bedeckt war, und
musste sich umdrehen, um sein Lächeln vor ihr zu verbergen.
Jaxon lief rastlos hin und her. Das Adrenalin, das durch ihren Körper
gepumpt worden war, machte ihr immer noch zu schaffen. »Sag mir, was wir
machen sollen, Lucian. Wie können wir dieses Monster daran hindern, jeden
Menschen, an dem mir etwas liegt, umzubringen?«
»Wir haben zwei Alternativen«, sagte er leise und mit einer so
gelassenen Stimme, dass der Überschuss an nervöser Energie, der in Jaxons Adem
pulsierte, allmählich abflaute. »Wir können hier bleiben und versuchen, den
Vampir herauszulocken. Leicht wird es nicht sein. Er ist alt und weiß, wer ich
bin. Er wird Ghoule und andere Kreaturen der Finsternis in den Kampf gegen uns
schicken, bevor er sich selbst zeigt. Und er wird nur zum Vorschein kommen,
wenn er glaubt, dass er uns weit überlegen ist.«
Jaxon fuhr sich mit einer Hand durch ihr feuchtes Haar, stellte fest,
dass ihre Hand zitterte, und legte sie hastig hinter ihren Rücken. Die Finger
fest ineinander geschlungen, gab sie sich große Mühe, ruhig und gefasst zu
wirken. »Und die andere Möglichkeit?«
»Wir können die Stadt verlassen. Weggehen und hoffen, dass unsere
Feinde uns folgen und von deinen unschuldigen Bekannten ablassen. Ich denke,
Tyler Drake würde uns nachkommen. Der Vampir vermutlich auch. Es gibt unter
den Menschen nur sehr wenige Frauen wie dich. Er wird kaum Lust haben, sich
auf die Suche nach einer anderen zu machen. Es ist möglich, dass er dir schon
auf den Fersen war, als ich dich fand, und jetzt glaubt, ich hätte dich
unrechtmäßig beansprucht und ihm genommen. Wenn das der Fall ist, wird er uns
folgen.«
»Wenn nicht, lassen wir alle anderen hier schutzlos zurück.« Jaxon
klang verzweifelt. »Ich verstehe das nicht, Lucian. Was habe ich an mir, das
solche Monster anzieht?« Sie drehte sich zu ihm um, ohne sich des tiefen
Kummers bewusst zu sein, der sich in ihren Augen spiegelte.
Lucian hielt ihrem Blick unbewegt stand. Auch er war ein Monster, ein
dunkles Monster, das sogar mehr Jahrhunderte als die meisten seiner Art am
Leben war. Er hatte Verbrechen begangen und war für zahllose Tode
verantwortlich. Er hatte die ganze Welt nach Jaxon abgesucht und würde nie
zulassen, dass sie ihm entkam, würde sie nie aufgeben, sie sich von keinem
anderen nehmen lassen. Was unterschied ihn von den anderen, die es so sehr auf
sie abgesehen hatten? Sah sie ihn auch so? Als Monster?
Jaxon warf beide Arme um ihn und zog ihn an sich. »Du bist kein
Monster, Lucian. Du bist ein guter und anständiger Mann. Rede dir nicht ein,
dass du in dieselbe Kategorie gehörst wie Tyler Drake oder dieses furchtbare
Wesen, das du Vampir nennst.«
Er neigte seinen Kopf und hielt sie eng an sich gedrückt. Sie kannte
ihn nicht so gut, wie sie glaubte. Er besaß so viel Macht, dass man ihn im Lauf
der Jahrhunderte oft genug als Ungeheuer bezeichnet hatte. Jaxon hatte seine
Gedanken gelesen.
Es erstaunte ihn, dass sie es
getan hatte, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Sie ließ ihn daran
glauben, dass seine Seele nicht für alle Ewigkeit verdammt war, dass seine
Taten mit Verständnis und Mitgefühl beurteilt werden würden. Sie ließ ihn an
Wunder glauben.
In der alten Sprache seines Volkes flüsterte er ihr zu, dass er sie
liebte. Er sagte es ihr in seinen Gedanken, da er Angst davor hatte, die Worte
laut auszusprechen und möglicherweise zu erleben, wie sie sich von ihm
abwandte. Seine Hand strich besitzergreifend über ihr Haar. »Ich habe die
Bedeutung des Wortes Angst gelernt, mein Engel. Es war keine leichte Lektion
und eine, die ich nicht wiederholen möchte, aber dadurch habe ich einen kurzen
Einblick in die Hölle bekommen, die du in deinem jungen Leben durchgemacht
hast. Triff du die Entscheidung, Jaxon. Hinterlassen wir dem Vampir eine Spur,
der er folgen kann? Locken wir ihn von deinen Freunden weg? Oder bleiben wir
und fechten es hier aus?«
Er fragte sie nach ihrer Meinung. Jaxon blinzelte Tränen aus ihren
Augen. Es stimmte, dass sie ihn noch nicht sehr
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