Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
staunte. Hatte er wirklich vor, sich endlich um Arbeit zu bemühen?
»Ich mach uns ein paar Brote. Du willst doch sicher erst noch frühstücken?«
»Hast du die Zeitung reingeholt?« fragte er und starrte zu Boden, während er in seine Jeans stieg.
»Natürlich. Ich habe sie sogar gelesen. Weißt du, wie spät es ist?«
Da er sich auch sonst nicht über die Zeitung hermachte, um die Stellenanzeigen zu studieren, mußte er sich ein wenig zusammenreißen. Er legte die Zeitung neben den Teller mit Butterbroten und sah die erste Seite durch. Nichts. Er biß in ein Brot mit Erdnußbutter, kaute und blätterte. In der Zeitung stand nur der übliche Kram.
»Die Stellenanzeigen sind weiter hinten«, erläuterte seine Mutter, die ihn vom Spülstein her beobachtete. Sie hatte wieder Nachtwache und deshalb den ganzen Tag frei. Ihm war das gar nicht recht. Er fühlte sich unwohl, wenn sie im Haus war. Sie hatte einen scharfen Blick, wie Mütter ihn eben haben; sie sah alles.
»Weiß ich«, murmelte er und blätterte weiter.
»Du suchst etwas«, stellte sie fest. »Was suchst du?«
»Irgendeine Katastrophe«, antwortete er und zuckte mit den Schultern.
»Wieso?«
»Ich bin auf ein kleines Alltagsdrama aus, nehme ich an.«
Langsam aß er das erste Brot auf, während er eine Seite nach der anderen überflog. Er las nur die Schlagzeilen.
»Du liest nur die Überschriften«, kommentierte seine Mutter.
»Richtig«, sagte er. »Wenn ich alle großen Buchstaben gelesen habe, bin ich einigermaßen orientiert.«
Sie schüttelte verärgert den Kopf und ließ Wasser ins Bekken laufen. Zipp hat in seinem ganzen Leben noch nicht gespült, dachte sie. Vielleicht ist das ein schlechtes Zeichen. Ob das anders wäre, wenn ich eine Tochter hätte? Leichter womöglich? Hätte ich dann Hilfe im Haus? Sie war sich nicht sicher. Sie hatte Freundinnen mit Töchtern, und die jammerten immer, wie schwer sie es hätten. Alles mußte den Mädchen erklärt werden. Sex. Ihre Tage. Ihr schauderte. Nein, da war ein Sohn schon besser. Selbst wenn er arbeitslos war. Er war freundlich und sah gut aus. Er würde es schon schaffen, da war sie zuversichtlich. Viele junge Leute waren arbeitslos und fanden auch keinen Studienplatz. Aber ein teures Vergnügen war er. Immer wollte er irgend etwas Neues haben.
»Ich rufe Andreas an.«
Das klang so alltäglich, da mußte Andreas einfach am Telefon sein. Er erhob sich, ging ins Wohnzimmer und wählte die vertraute Nummer. Die Mutter schaute ihm nachdenklich hinterher.
Er umklammerte den Hörer. Nein, Andreas war nicht zur Arbeit gekommen. Hatte auch nicht angerufen. Wußte er das noch nicht? Seine Mutter machte sich Sorgen um ihn. War sogar schon bei der Polizei gewesen.
»Bei der Polizei?«
»Um ihn als vermißt zu melden. Er ist heute nacht nicht nach Hause gekommen.«
»Vermißt wird er?« fragte Zipp. Er spürte, daß seine Mutter lauschte, ein zitternder Draht schien aus der Küche bis zu ihm zu reichen, und in seiner Hilflosigkeit zitterte auch er.
»Hast du ihn gestern gesehen?«
Die Frage kam unerwartet. Wer wußte, daß sie zusammen gewesen waren? Irgend jemand hatte sie bestimmt gesehen. Und dann hatten sie so viel angerichtet. Am besten blieb er so nahe wie möglich bei der Wahrheit.
»Ja, sicher, gestern waren wir zusammen. Haben mal im Headline vorbeigeschaut. Und uns ein Video angesehen.«
»Das ist ja seltsam. Na, er taucht schon wieder auf.«
»Aber klar. Ich kenne Andreas. Der macht, was er will.« Er versuchte ein kleines Lachen, doch das kippte zu einem Quieken um.
»Was ist los?« Seine Mutter war neben ihn getreten.
»Andreas«, sagte er und legte auf, »ist heute nicht zur Arbeit gekommen.«
»Ach. Und warum nicht?« Sie starrte ihn an. Ahnte, daß etwas nicht stimmte, registrierte noch das kleinste Detail. Daß seine Augen flackerten, daß er sich unbedingt durch die struppigen Haare fahren mußte.
Er schüttelte den Kopf. »Woher soll ich das wissen? Alles war ganz normal«, sagte er.
»Wieso normal?« Sie kniff die Augen zusammen.
»Nein, ich meine, gestern abend.«
»Und warum sollte es nicht normal gewesen sein?«
Er schwieg. Er suchte nach Worten, fand aber keine. Wollte wieder in die Küche und blieb doch stehen, weil das Telefon klingelte. Seine Mutter schien nicht rangehen zu wollen. Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und nahm ab.
»Hallo? Zipp? Hier ist Andreas’ Mutter.«
»Äh, ja«, preßte er hervor und dachte verzweifelt nach, über alles, was
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