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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Stand ungerührt in dem üppigen Garten. Es hatte nur eine Etage und einen offenbar voll ausgebauten Keller. Er sah die Kellerfenster. Zwei Stück, hinter den verwelkenden Blumen deutlich zu erkennen. Auf der Straße waren Schritte zu hören. Er kam aus der Hecke zum Vorschein und schlenderte den Hang wieder hinunter. Etwas Seltsames lief hier ab. Er sehnte sich nach einem Bier, hatte aber kein Geld. Trotzdem ging er in Richtung Innenstadt und steuerte das Headline an. Blieb vor der verschlossenen Tür stehen und starrte durch das Fenster. Er konnte den Tisch erkennen, an dem sie zwei Abende zuvor gesessen hatten. In Gedanken hörte er Andreas’ Stimme: »I will never see you again, my friend.«

 
    D ie kahle Glühbirne unter der Decke war in seinen Augen als zwei winzige Punkte zu sehen. Er bewegte sich nicht, starrte mich nur an. Ich dachte an einen Hasen in einer Falle. Wie wehrlos er war. Es rührte mich. Das passiert mir nicht oft. Ich sah hinter dem Tuch eine schwache Bewegung und wußte, daß er den Mund geöffnet hatte.
    »Wasser«, sagte er leise. Und auch dieses eine Wort brachte er nur mit Mühe heraus. Ich hätte gern gewußt, warum er sich nicht bewegen konnte. Sein Körper lag so seltsam still da, als ob er ihm gar nicht gehörte. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ihm seine Bitte abzuschlagen. Aber ich starrte ihn doch eine Weile an, schaute in seine blassen Augen. Das restliche Gesicht war unter dem Tuch versteckt, doch die Augen brannten sich in mich hinein. Sie zwinkerten nicht, sie flehten nur stumm. Endlich ging ich nach oben. Drehte den Hahn auf, ließ Wasser laufen. Was machst du da, Irma? Hast du denn völlig den Verstand verloren, fragte das Wasser, während es sickerte und floß. Nein, nein. Aber dieses eine Mal machte ich, was ich wollte. Er hatte mich nicht gefragt, was ich wollte und brauchte und mir wünschte. Die Antwort war Zeit. Deshalb nahm ich mir Zeit, bevor ich wieder nach unten ging. Er entdeckte das Glas. Und zwinkerte. Unten auf der Treppe mußte ich über seine Füße hinwegsteigen. Er hatte sie nicht bewegt, vielleicht waren sie gebrochen. Ich wollte nicht fragen, ich stand einfach mit dem Wasser in der Hand da. Aus seinen Augen flossen Tränen. »Das Tuch«, sagte ich unbeholfen. »Nimm das Tuch weg.«
    Aber er rührte sich nicht, er starrte nur das Glas an, dann mich, dann wieder das Glas, und er zwinkerte und zwinkerte. Ich wollte ihn nicht anfassen. Aber ich brachte es auch nicht übers Herz, das Wasser wieder mit nach oben zu nehmen. Wenn ich mich bückte, würde er sich vielleicht vom Boden erheben, einen grausigen Schrei ausstoßen und seine Zähne in mein Fleisch schlagen. Dabei sah er schrecklich schwach aus. Ich blieb lange stehen. Er musterte mich so ausgiebig, wie ich ihn musterte. Die Birne unter der Decke bannte uns in diesem seltsamen Moment. Wir waren wie erstarrt in einem Lichtkreis. Irma, dachte ich, hol Hilfe. Das mußt du jetzt tun! Aber ich rührte mich nicht, ich blieb einfach stehen und starrte in die hellen Augen. Auf der linken Seite seines Kopfes klaffte eine Wunde, die stark geblutet hatte. Das Blut in der Lache daneben war längst erstarrt. Ohne zu begreifen, warum er nicht schrie, blieb ich neben ihm stehen. Er versuchte nicht, das Tuch wegzunehmen oder den Kopf zu heben, und endlich ging mir auf, daß er das nicht konnte. Ich hatte aber auch keinen Strohhalm und wollte ihn nicht anfassen. Ich trank selbst einen Schluck Wasser und starrte ihn über den Rand des Glases hinweg an. Seine Augen, als er hörte, wie das Wasser durch meine Kehle rann, die werde ich nie vergessen. Dann schloß er sie ohne ein Wort. Das gefiel mir nicht. Daß er mich einfach ausschließen konnte, indem er die Augen zumachte.
    »Ich werde eine Lösung finden«, sagte ich. »Natürlich bekommst du Wasser. Ich bin doch kein Unmensch.«
    Sein Kopf zitterte schwach. Plötzlich fing er an zu husten. In seinem Hals gurgelte es. Seine Augen verdrehten sich. Ich dachte, jetzt stirbt er vor meinen Augen. Und das wäre schrecklich gewesen, aber zugleich dachte ich, daß es schön und stark und erregend sein würde. Doch er starb nicht. Statt dessen packte ich mit zwei Fingern das Tuch und riß es weg.
     
    Die Ähnlichkeit mit Andreas war verblüffend. Nicolai Winther war vielleicht Mitte Fünfzig, lang und schmal, mit einer Hakennase und Augen, die eng beieinander und tief unter dünnen, feingezeichneten Brauen saßen. Er hatte lange, lokkige Haare.
    »Was macht er bloß? Haben

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