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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Zeitschriftenständer her an. Was nichts brachte. Skarre war mit anderen Dingen beschäftigt. Winther hatte natürlich recht. Zipp verschwieg irgend etwas. Das war für ihn ebenso gewiß wie sein Glaube an Gott. Was hatte Sejer gesagt? Es gibt immer einen Grund zu schweigen, und der braucht nicht einmal besonders gut zu sein. Zugleich erkannte er den Ernst der Lage. Andreas hatte keine Spritztour mit der Dänemarkfähre unternommen. Skarre kam zu sich, als die Schlange ein Stück vorrückte. Er war der vierte in der Reihe. Vor ihm stand eine ältere Frau in einem braunen Mantel. Er schaute ihr über die Schulter, direkt in ihren Einkaufswagen. Er schaute gern in fremde Einkaufswagen. Musterte die Waren und amüsierte sich dann damit, entsprechende Schlüsse zu ziehen. Die Frau wollte eine Nuckelflasche aus durchsichtigem Kunststoff kaufen. Dazu eine desinfizierende Salbe und Watte. Drei Flaschen Chlorin und eine kleine Lampe von der Sorte, in der Teelichter brennen. Brauchte sie nichts zu essen? Er reckte den Hals und schaute in die anderen Wagen. In den meisten herrschte eine Art Ordnung – von Dingen, die zusammengehörten. Vier Tüten Milch, zum Beispiel, Brot, Kaffee und tiefgefrorene Koteletts. Oder ein Kasten Bier, zwei Tüten Kartoffelchips, eine Anglerzeitschrift und Zigaretten. Oder Windeln, Babynahrung in Gläsern, Klopapier und Bananen. Doch in dem Wagen vor ihm herrschte Chaos. Er fand das kurios. Starrte den genoppten Mantel der Frau an. Jetzt rückte sie wieder vor. Umklammerte den Handgriff ihres Wagens. Sie war nicht sonderlich groß, aber untersetzt, gedrungen geradezu. Da er sie nur von hinten sah, wußte er nicht, ob sie fünfzig oder siebzig sein mochte. Sie hatte graue Haare mit einer ordentlichen Dauerwelle. Ihre Füße steckten in Stiefeletten mit klobigen Absätzen. Er fragte sich, wozu sie wohl die Nuckelflasche brauchte. Die war sicher für ein Enkelkind bestimmt. Er schaute in seinen Wagen. Zwiebeln, Paprika, Reis, anderthalb Liter Cola, drei Zeitungen und eine Tüte Gummibärchen. Er betastete seine Tasche, um sich zu vergewissern, ob er noch Zigaretten hatte. Vielleicht sollte er sich noch eine Packung Blättchen aus dem Drahtgestell neben der Kasse schnappen. Vielleicht mit einem tiefen Blick in die Augen der Kassiererin und einem kurzen Kommentar: Nein, so was, das Wichtigste hätte ich doch fast vergessen! Das war ein Spiel, das er mochte. Skarre rückte vor. Die Frau in dem braunen Mantel legte ihre Einkäufe auf das Rollband, bezahlte und verstaute die Sachen in einer Tüte. Kein Wort kam über ihre Lippen, kein Danke und kein Auf Wiedersehen. Und sie schaute der Kassiererin nicht in die Augen. Sie schien in ihrer Welt völlig eingekapselt zu sein. Dann verschwand sie. Ganz hinten auf dem Band sah Skarre etwas liegen. Sie hatte die Nuckelflasche vergessen.
    »Ich mach das schon«, sagte er zur Kassiererin.
    Die zuckte mit den Schultern, er bezahlte und rannte auf die Straße. Die Frau hatte sich schon ein ziemliches Stück entfernt. Vielleicht wollte sie den Bus nehmen. Sie hielt die Tüte in der rechten Hand und stützte sich mit der anderen an den Hausmauern ab. Er hatte die Flasche in seine Lederjacke gesteckt und holte rasch auf. Sie bemerkte ihn nicht. Jetzt überquerte sie die Straße und ging den Hang zur Prins Oscars gate hinauf. Er war auf Rufweite herangekommen, lief aber noch schneller, um seinen Spruch mit gedämpfter Stimme aufsagen zu können. Skarre war ja so rücksichtsvoll. Sie hatte den halben Hang hinter sich, und Skarre lag nur noch fünf Meter zurück. Er zog die Flasche aus der Tasche und beschleunigte noch einmal.
    »Hallo! Warten Sie einen Moment!«
    Sie fuhr herum und starrte ihn an. Ihre Angst war so deutlich, daß auch Skarre stehenblieb, er breitete die Arme aus und schwenkte die Flasche.
    »Sie haben die Flasche vergessen. Die wollte ich Ihnen nur bringen.« Sie starrte ihn einige Sekunden lang an, dann drehte sie sich um und ging weiter.
    »Die Nuckelflasche«, rief er noch einmal.
    Endlich blieb sie stehen.
    »Ich war im Laden hinter Ihnen. Und die lag noch auf dem Laufband.«
    Er stand jetzt dicht vor ihr. Sah die schmalen Lippen und die tiefliegenden Augen. Sie hatte ein vorspringendes Kinn und zusammengewachsene Augenbrauen. Ihr Gesicht war weiß, ihre Miene verschlossen.
    »Ich dachte, Sie brauchen sie vielleicht.« Er lächelte und hielt ihr die Flasche hin.
    Die Frau griff zögernd zu. »Verzeihung«, murmelte sie. »Ich war so

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