Dunkler Spiegel
jedoch keineswegs für einen, an dem sich einfach jeder beteiligen konnte. Ohne das geringste Zögern wandten sie sich gegen die Carabinieri, und schon bald flogen Polizisten in alle Richtungen davon, schlugen zwischen den Sitzen auf, und einige wurden sogar aus den niedrigeren Logen und in die Gänge zwischen den Reihen geworfen.
Riker beobachtete Worf zufrieden. Der Klingone zuckte leicht zusammen, wenn besonders gelungene Schläge trafen, und betrachtete den Krawall mit fröhlicher Anerkennung. »Diese Leute sind wahre Krieger, und das ist große Kunst.«
»Wenn Sie das für Kunst halten«, sagte Riker, »sollten Sie warten, bis die Vorstellung fortgesetzt wird.«
Es dauerte natürlich ein paar Minuten, aber die fragliche pa wählte genau den richtigen Augenblick, eine ein paar Atemzüge lange Pause, in der das Publikum innezuhalten schien, um selbst wieder zu Atem zu kommen. In purpurroter Spitze und einer atemberaubenden, pechschwarzen Mantilla trat die große irisch-tschechische Sopranistin Mawrdew Czcgowcz in die kurze Stille und auf die gemüseübersäte Bühne hinaus. In der einen Hand hielt sie einen übergroßen Fächer, auf der das Urteil des Paris dargestellt war, in der anderen ein mit Sekt gefülltes Bakkarat-Kelchglas. Mit dem Fächer wedelte sie dem Dirigenten herrisch zu, er und seine Leute sollten sich im Orchestergraben erheben, in dem sie kauerten, als befürchteten sie, gesteinigt zu werden. Zu ihrer eigenen Überraschung wie zu der aller anderen gehorchten sie. Die Sopranistin flüsterte ihnen etwas zu; der Dirigent zischte dem Orchester dasselbe Wort zu, und die Musiker nahmen ihre Plätze wieder ein. Toscanini schlug mit dem Fuß den ersten Takt an, und das Orchester stürzte sich in den berauschenden Rhythmus des Präludiums der Sempre libera.
»Follie« , sang die Czcgowcz, »FOLLIE!« , und jeder Schrei war laut genug, um alles zu betäuben, was Ohren hatte. Polizei und Publikum stellten ihre Scharmützel ein und verstummten, starrten die schwindsüchtige Erscheinung an, die nun in einem anmutigen Tanz durch die Eierschalen und Kohlköpfe wirbelte und in ekstatischen, immer höheren Kadenzen von den Freuden des freien Lebens zu singen begann, ganz gleich, wie kurz es auch sein mochte.
» Das nenne ich Ordnungsdienst bei Großveranstaltungen«, murmelte Riker, doch Worf flüsterte völlig gedankenverloren gemeinsam mit der Czcgowcz die Worte der Arie. Riker lächelte. Die Czcgowcz stürzte sich hingebungsvoll in die »Giaoure!« -Passage, und erst beim hohen B drehte Worf sich zu ihm um und sagte: »Sie hat starke Schmerzen!«
»Nein, nein, so singt sie ihre hohen Töne immer.« Ihm fiel ein, daß sein Großvater einmal zu ihm gesagt hatte: »Sie klingt wie ein Vakuumstaubsauger, aber so ist sie nun mal.« Riker lächelte, als die Czcgowcz dem Ende der Arie entgegenstrebte und mit dem wahlweisen E über dem hohen C noch einmal nachlegte. Sie traf den Ton, hielt ihn und sang ihn aus voller Brust, wobei sie wahrscheinlich zahlreiche Naturgesetze außer Kraft setzte. In der Oper erklangen Schreie des Schmerzes oder Unglaubens, und hier und da ein leises Klirren, als Bestandteile des Waterford-Kristalls an der Decke unter der Tonattacke zersprangen. Wilder Applaus erhob sich, ein Tosen, das so voll des Lobes war, wie das vorherige voll des Blutdursts; und die Czcgowcz warf den Bakkarat-Kelch gegen die nächste Loge, an der er zerbrach, und bedankte sich für den anerkennenden, ja geradezu entzückten Applaus mit einer tiefen Verbeugung. Selbst die Prügeleien, die gerade wieder angefangen hatten, muteten irgendwie geistesabwesend an. Worf applaudierte wild und grinste Riker zu.
»Mehr?« fragte der Erste Offizier, und sie sahen sich die besten Zwischenfälle an, zuerst jenen Abend in der Pariser Oper im Jahre 1960, als die Prügelei mitten in einer Aufführung des Parsifal begann, weil dem Publikum der Tenor nicht paßte und auf dem Boden eines der Schwanenboote irgend etwas vorging, das man allerdings nicht genau sehen konnte; dann der große Krawall in der Metropolitan Opera im Jahr 2002, als die holographischen Spezialeffekte mitten in einer Neuaufführung des Rings des Nibelungen versagten und der Kritiker der Times kurz nach dem Erscheinen der Morgenausgabe, die seine Kritik enthielt, von Unbekannten durch die halbe Stadt gejagt und mit Farbe aus der Spraydose verunstaltet wurde; und abschließend das West Side Story -Revival mit dem geklonten Bernstein 2238 auf Alphacent, bei dem
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