Dunkler Sturm - Roman
stehen blieb. Er rannte einfach nur weiter.
Direkt vor ihm tauchte ein Mann auf. Er war weder ein Skelett noch ein verwesender Leichnam, nicht wie die Wesen, die jetzt aus jeder Tür und jedem Fenster dieser höllischen Stadt auftauchten. Stattdessen trug er eine Rüstung, auf deren Brustpanzer das Zeichen des Kreuzes eingraviert war. Sein mitternachtsschwarzes Haar war sorgfältig nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er hob eine gepanzerte Hand, als Gabriel näher kam, und ein blendendes Licht spülte über den Jüngling hinweg.
Es löste einen brennenden Schmerz in seinen Gliedmaßen aus und brannte hinter seinen Augen. Er versuchte sie mit den Händen zu schützen, zuckte jedoch zusammen, als er bemerkte, wie sich die Haut auf seinen Knöcheln bewegte. Fasziniert sah er zu, wie die Tätowierung des Nimrod in der Mitte dieses schrecklichen Sturms tanzte und mit jedem Donnerschlag stärker zu werden schien. Seine Hand fühlte sich plötzlich an, als würde ihm die Haut abgezogen, als sich der Nimrod befreite und sich zwischen ihm und dem Ritter materialisierte.
»Mein Wille wird geschehen«, sagte der Ritter mit einer geisterhaften Stimme, als der Nimrod in seiner Hand landete. Gabriel versuchte sich abzuwenden, aber die Stimme des Ritters schien ihn festzuhalten. »Mein Wille wird geschehen«, wiederholte der Mann. Aus irgendeinem Grund konnte Gabriel seinen Blick nicht von ihm losreißen. Er war wunderschön wie ein Engel, aber aus seinem Gesicht starrten Gabriel die gnadenlosen Augen einer boshaften Kreatur entgegen. »Mein Wille wird geschehen!«, sagte der Mann erneut. Diesmal war seine Stimme so laut, dass Gabriel das Blut aus den Ohren tropfte.
»Was wollt Ihr von mir?«, schrie Gabriel, als er es nicht mehr ertragen konnte.
»Gerechtigkeit!«, erwiderte der Ritter schneidend, bevor er mit dem Nimrod ausholte. Gabriel schloss die Augen in Erwartung des tödlichen Schlages, doch zu seiner Überraschung geschah nichts. Als er die Augen wieder öffnete, war der Ritter verschwunden. Nur der Nimrod schwebte noch in der Luft.
Das Artefakt pulsierte schwach, als es langsam auf Gabriel zuglitt. Er wollte es nicht, aber es war so wunderschön, dass er es einfach berühren musste. Als seine Haut mit dem uralten Relikt in Kontakt kam, schossen Bilder einer gewaltigen Schlacht durch seinen Kopf. Er wusste, dass es die Siebentägige Belagerung war, die er da sah. Immer und immer wieder spielte sich die grauenvolle Szenerie vor seinem inneren Auge ab, bis er es nicht mehr ertrug und laut zu schreien anfing. Als er wieder zur Besinnung kam, fand er sich in seinem Schlafzimmer wieder, den Dreizack in den Händen. Und in der Ferne hörte er die geisterhafte Stimme des Ritters: »Mein Wille wird geschehen.«
Gabriel streckte die Hand aus und berührte sein Bücherregal, um sich davon zu überzeugen, dass es real war. Er war ungeheuer erleichtert, als er das alte Holz unter seinen Fingerspitzen spürte. Dann holte er tief Luft und versuchte sich einzureden, dass alles in Ordnung war, aber als er den Körper vor seiner Schlafzimmertür bemerkte, wurde ihm klar, dass dem ganz und gar nicht so war.
Megan Cromwell, die von ihren Freunden Meg genannt wurde, war eine Frau in der Dämmerung ihres Lebens. Mit fünfundsechzig hatte sie so viel gesehen, dass es für zwei Leben gereicht hätte. Meg war eine Hexe, auch wenn sie zurzeit im Zirkel der Hexen und Hexer nicht aktiv war. Nach den Mystischen Kriegen Anfang der Achtziger hatte sie sich entschieden, in der Vorstadt von New Jersey ein ruhiges Leben zu führen. Sie war damit zufrieden, zu Hause zu bleiben, ihren Kräutergarten zu hegen und hausgemachte Heilmittel für die Anwohner und die übernatürlichen Kreaturen herzustellen. Doch sie lebte in einer Stadt, die niemals schlief und in der man einem alten Freund stets half.
Als Redfeather sie anrief und sie bat, zu ihm nach Hause zu kommen, befürchtete sie das Schlimmste. Sie telefonierte oft stundenlang mit ihm, und er verstand ihr Zögern, ihr Haus zu verlassen, doch diesmal beharrte er darauf, dass es von größter Wichtigkeit wäre, und wollte nicht mehr sagen. Erst bei ihrem Eintreffen erzählte er ihr, was geschehen war. Der Nimrod hatte Redfeathers Enkel in einen tranceähnlichen Schlaf versetzt, und der alte Mann hatte keine Ahnung, wie er den Bann brechen könnte. Meg war eine alte und mächtige Hexe, aber selbst ihre Magie konnte den Jungen nicht aufwecken. Sie konnte nur bei ihm bleiben und
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