Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
Bett lagen. Mit neugierig gerecktem Hals blätterte er in den ausgedruckten Internetseiten. Karen war es gelungen, Kontakt zu dem Verfasser des Artikels über den Brand in Bethnal Green aufzunehmen. Sie gab sich einfach als Schülerin aus, die für einen Artikel in der Schulzeitung Informationen suchte.
So erfuhr sie von ihm die genaue Adresse des Gebäudes. In den Datenbanken der Stadtverwaltung fand sie den Namen des Eigentümers und im Telefonbuch auch dessen Adresse. Zwar konnte Jarout wohl kaum etwas mit den Informationen und Fotos anfangen, aber dass er die Unverschämtheit besaß, darin herumzustöbern, trieb sie erneut in Rage.
»Nimm gefälligst deine Drecksfinger von meinen Sachen«, schimpfte sie und stürzte zum Bett. Er schien sie nicht zu bemerken und starrte weiter mit aufgerissenen Augen auf die Seite, die sie ihm aus der Hand gerissen hatte.
»Wie kommst du dazu, in meinen Sachen zu schnüffeln?«
»Das ist doch ... das gibt es einfach nicht«, stotterte er, »wa ... das ist der Kerl. Scheiße, Mann, diese Laus würde ich überall wiedererkennen. Woher hast du die Aufnahme?« Er schnappte nach dem Blatt. Darauf abgebildet war die zehnfache Vergrößerung des Gesichts des Unbekannten, der dem brennenden Haus entkommen war.
»Das geht dich einen feuchten Dreck an«, zischte sie aufgebracht und versuchte wieder nach dem Blatt zu greifen. Doch Jarout hielt es so hoch, dass sie nicht herankam.
»Hast du nicht gehört? Das ist der Kerl, der Serena gestern den Brief gebracht hat«, rief Jarout aufgeregt. »Das ist der Typ, den Colin schon seit ein paar Wochen im Auge hat, Karen.«
»Ach«, antwortete sie verächtlich. »Was für ein Zufall. Du spinnst ja und jetzt gib mir das Foto zurück!«
»Ich spinne nicht. Das ist er. Ich bin mir hundertprozentig sicher«, beharrte Jarout. Karen stutzte. Konnte das denn möglich sein? Sie schüttelte den Kopf. Unsinn. Jarout dachte sich nur etwas aus, um sich einzuschmeicheln und wichtig zu machen. Allerdings schien seine Aufregung echt. Genauso wie sein überraschtes Gesicht. Doch sie wusste, dass er ein guter Schauspieler sein konnte, wenn er etwas erreichen wollte.
»Verdammt, Karen, du bist großartig, weißt du das? Es scheint, als wärst du ein Magnet für verrückte Zufälle – so wie damals, als ich dich gefunden habe. Das war auch unglaublich, oder?«, sprudelte er heraus. Erschrocken verstummte er und sah sie an. So wie damals, als ich dich gefunden habe ..., hallten seine Worte in ihrem Kopf nach. Das war allerdings ein Zufall. Alles, was danach kam, war geplant. Um Lucas zu stürzen, hätte er ohne Weiteres ihr Leben geopfert. Und das sollte sie so einfach vergessen?
Bildete er sich etwa ein, dass sie ihm verzieh, wenn er sich nur brav entschuldigte? Glaubte er wirklich, dass die Zeit alles heilt? Mit aufeinander gepressten Lippen fixierte sie seinen Blick. »Karen, wie wär’s mit Waffenstillstand? Und bevor du wieder ausrastest, lass mich bitte ausreden«, bat er mit flehentlichem Gesichtsausdruck.
Als sie nichts sagte, nahm er ihr Schweigen als Aufforderung.
»Dieser ... Zufall ... vielleicht können wir ihn dazu nutzen, Frieden zu schließen.«
Noch immer sagte sie nichts. Ihr fortwährendes Schweigen irritierte Jarout. Karens dunkle Augen schienen ihm direkt in die Seele zu blicken. Sie ängstigte ihn. Beinahe hielt er seine Worte selber für eine Lüge. Sie brachte ihn tatsächlich dazu, sich wie ein Betrüger zu fühlen. Und war er das nicht auch? Noch immer gab es ein Geheimnis, das er niemandem verraten hatte. Und er würde es auch niemandem verraten. Unter gar keinen Umständen durfte Karen erfahren, dass er ihren Stiefvater getötet hatte, dass er Peters Leben genommen hatte – verstohlen, gierig, wie ein kleiner Junge, der, verzaubert von dem verführerischen Anblick, behext von der unwiderstehlichen Gelegenheit, Bonbons stiehlt.
Das würde Karen ihm niemals verzeihen. Schlimmer noch, sie würde ihn umbringen und wenn sie selber dabei draufging.
Was um alles in der Welt hatte er hier zu suchen? Hatte er allen Ernstes angenommen, ihr Vertrauen, ihre Vergebung zu erlangen? Er konnte keine Sekunde länger bleiben. Ihr Schweigen war mehr als er ertragen konnte. Gerade wollte er sich umdrehen und ohne ein weiteres Wort das Zimmer verlassen, da entspannte sich Karens Körperhaltung und ihr Blick wurde milder.
»Also gut«, sagte sie. »Du sagst, der Mann auf dem Foto ist der, den ihr sucht. So weit so gut. Ich werde Lucas sagen,
Weitere Kostenlose Bücher