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Dunkles Erwachen

Dunkles Erwachen

Titel: Dunkles Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knip
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sich in einem imaginären Wind bewegte. Der gewaltige, schattenhafte Leib des Löwen durchmaß die Umgebung wie ein Herrscher, der nach langer Zeit wieder in seinen Palast zurückkehrt.
    Dann erreichte er einen breiten, torartigen Durchlass, der nach draußen führte. Vor ihm öffnete sich eine ausgedehnte Plattform, die sich wie ein Balkon um das Gebäude zog. Hungrig sog der Blick des schattenhaften Löwen das Bild der Ebene in sich auf, das sich ihm eröffnete.
    Sein mächtiger Körper verharrte nun an der Kante des Balkons. Die unendliche Weite des Dschungels leuchtete in den verschiedensten Grüntönen, nur selten unterbrochen durch den Ockerton der trockenen Savanne im Nordosten. Eine Reihe lange zerfallener obeliskartiger Säulen erhob sich über die Baumkronen. Sie zog sich einer geraden Allee gleich in Richtung Savanne, in eine Vergangenheit, die für den nachtschwarzen Beobachter hoch über der Szenerie lange zurücklag.
    Ein tiefes Grollen löste sich aus dem Dunkel.
    Sein Ruf war erfolgt. Er musste nur warten, bis sie kamen, um sich mit ihm zu messen.
    Um ihn erneut als den Herrn anzuerkennen.
     
    »Und was verschlägt Sie hierher?«
    Talon drehte sich zu Janet Verhooven um und warf ihr einen undeutbaren Blick auf ihre Frage zu. Die Fahrt dauerte bereits mehrere Stunden, und so nutzte Vanderbuildts Angestellte die Gelegenheit, etwas Licht in das Dunkel zu bringen, das diesen Mann umgab.
    Also hatte sie ein unverfängliches Gespräch begonnen, in dem sie über ihre Arbeit und die Gründe redete, die sie hierher geführt hatten. Doch Talon hatte ihr die ganze Zeit nur zugehört, ohne selbst etwas von sich zu erzählen.
    »Ich lebe hier«, antwortete er kurz angebunden.
    Die blonde Frau lachte auf. »Das sehe ich auch. Aber wie kommen Sie hierher?«
    Talon musterte sie lange, bevor er antwortete. Sein Blick glitt dabei mit unverblümter Offenheit über ihren schlanken Körper. Sie räusperte sich und wusste nicht recht, wie sie mit diesem Auftreten umgehen sollte, das sich um die Konventionen eines zivilisierten Umgangs nicht zu scheren schien.
    »Ich weiß es nicht«, meinte er zögernd. »Eines Tages bin ich hier erwacht.«
    Janets Herzschlag beschleunigte sich. Sie hatte die wenigen Informationen, die ihr Vanderbuildt auf das ComPad geschickt hatte, gründlich durchgelesen. Dass er dieser Tyler war, daran bestand kein Zweifel. Nur er selbst schien jede Erinnerung an sein früheres Leben verloren zu haben. Und die junge Frau sah im Augenblick keine Veranlassung, ihn darüber aufzuklären.
    »Hey, Großer!«, ließ sie ein Zuruf neben ihr aufschrecken. Talon fuhr in seinem Sitz herum und blickte in ein dunkles, großes Auge. Mehrere Klickgeräusche ertönten, dann legte Alice Struuten die Kamera auf ihren Schoß, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen.
    »Was soll das?«, reagierte Talon gereizt. Er bedachte die Fotografin mit einem wütenden Blick. Diese legte ein verschüchtertes Lächeln auf. »Nur ein Foto«, entschuldigte sie sich. »Ich seh' schon den Titel: Eine Safari mit Tarzan.«
    Sie verstaute die Kamera vorsichtig in ihrer Tasche und sah Talon dann forschend an.
    »Sagen Sie, können Sie das eigentlich? Mit Lianen schwingen und so?«
    Zum ersten Mal hörte sie den Mann laut auflachen. »Sie sind albern«, entgegnete er. »Lianen halten das Gewicht eines Mannes kaum aus. Und ich bin in der Savanne zu Hause. Ich halte mich nur selten im Dschungel auf. Dort hausen nur schreiende und kreischende Affen, die durch die Gegend schwingen.«
    »Schade!« Alice machte sich in Gedanken bereits die ersten Notizen. Sie beugte sich etwas vor, um nicht ständig gegen die Fahrtgeräusche anschreien zu müssen. »Und mit -!«
    Eine harte Bremsung presste sie schmerzhaft in die Rückwand des Fahrersitzes. Die Fotografin schrie auf und hielt sich nur mit Mühe an einer Querstange fest, während sie mit dem Oberkörper aus dem Fahrzeug hing.
    »Eugène?«, rief sie ihre Frage, ohne eine Antwort zu erhalten. Der Belgier fluchte nur. Noch immer war der Wagen nicht zum Stillstand gekommen, sondern raste mit unverminderter Geschwindigkeit über das Geröll hinweg. Aus einem Grund, den Alice nicht sah, riss der Fahrer erneut das Steuer herum. Sie schloss nur die Augen und schnappte hastig nach Luft. Durch den aufgewirbelten Staub hörte sie aus verschiedenen Richtungen kurze Rufe und Schreie.
    »Gegensteuern!« »Festhalten!«
    Ein harter Schlag erschütterte den Wagen. Alice konzentrierte sich nur auf ihre rechte

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