Dunkles Erwachen
Todes!«
Kapitel 4
Die Augen der Wächter blickten voller unterdrücktem Zorn auf die Eindringlinge hinab. Noch immer hatten sie die schweren Lanzen zum Stoß erhoben. Gleißend leuchteten die langen Metallspitzen auf.
»Shion hält Rat«, beendete einer der beiden Hünen die Stille. Seine Mundwinkel verzogen sich angewidert, während die Hand mit der Waffe erregt zuckte. »Und ihr Ungläubigen wagt es …«
Er machte einen drohenden Schritt auf die kleine Gruppe zu, die am Rand des gewaltigen Forums kauerte und das unwirkliche Schauspiel verfolgte, das sich ihr bot. Tausende von Löwen verharrten still auf den Rängen und schienen zu warten. Darauf, dass sich der riesige nachtschwarze Schatten im Zentrum der Arena regte.
Eugène Mauris hatte dafür jedoch keine Augen mehr. Er handelte reflexartig, geschult durch jahrzehntelange Kämpfe als Söldner für die verschiedensten afrikanischen Potentaten. Er schätzte die Situation ab und erkannte, dass sich die Wächter auf Talon konzentrierten, der ihnen hoch erhoben gegenüberstand, während er und die beiden Frauen am Boden kauerten oder knieten.
Die Finger seiner rechten Hand tasteten langsam an seinem Rücken entlang, bis er am Gürtel die beruhigende Kälte seines Revolvers spürte. Fest schlossen sie sich um den Griff der Waffe. Mauris' Blick wanderte zwischen den beiden Hünen hin und her. Ohne eine Sekunde zu vergeuden, riss er den Revolver aus dem Holster und legte auf die Männer an.
»Verdammt, was glaubt ihr, wer ihr seid?«
Jeder der Anwesenden fuhr überrascht herum. Talon erkannte die Lage und stürzte auf den Belgier zu.
»Mauris, nein!«, schrie er in die Leere des Ganges, der sein Echo wieder und wieder brach. Er wollte sich schützend von den Gefährten stellen, doch einer der beiden Wächter war schneller als er. Im Dämmerlicht der Balustrade blitzte eine Speerspitze gleißend auf. Janet und Alice erkannten nur zwei Schemen, die undeutlich durch die Luft zuckten. Die beiden Frauen warfen sich in den Schutz einer Strebe.
Dann bellte ein Schuss auf.
»Neiiin!«, gellte Alices Schrei durch die Hallen.
Tausende von Körpern schienen für einen Augenblick wie erstarrt. Inmitten all der Löwen ruckte der schwere Kopf Shions nach oben. Seine schattenhafte Mähne wehte in einem imaginären Wind und tanzte wie ein Schleier um den massiven Körper, in dem sich die Lichtreflexe verloren wie in einem endlosen Schlund. Ein dunkles Knurren löste sich aus der Schwärze. Langsam setzte sich die schwere Gestalt in Bewegung und näherte sich dem Rand des Podests.
Shions Gebrüll klang wie die Antwort auf den verhallten Schuss. Die glutrote Tiefe seines Mauls wurde von dunklen, mächtigen Zahnreihen eingerahmt. Der Löwe senkte seinen Kopf und blickte über die Reihen der Raubkatzen hinweg, deren Augen alle auf ihn gerichtet waren. Damit begann das Ritual.
Kaum einer von ihnen war jemals zuvor an diesem Ort gewesen. Nur die Ältesten von ihnen erinnerten sich an das letzte Mal, vor vielen Jahren, als Shion sie gerufen hatte. Doch damals war es eine rituelle Zusammenkunft gewesen; eine, in der sie seine Macht widerspruchslos bestätigt hatten.
Kaum einer wusste, was sie dieses Mal erwartete. Keiner von ihnen wagte es, durch eine Bewegung oder einen Laut die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Furcht vor dem unwirklichen Wesen, das sie zu sich gerufen hatte, erfüllte sie mit jedem verstreichenden Augenblick. Alle fühlten sie, dass Shion einer von ihnen sein musste. Doch seine Existenz überschritt um ein Vielfaches das, was sie bereit waren, als Wirklichkeit zu erfassen.
Dann aber erhob sich einer aus den Reihen. Ch'tra, der sein Rudel in zahlreichen Rivalitätskämpfen seit drei Jahren stolz verteidigt hatte, setzte sich in Bewegung. Sein Kopf ruckte herausfordernd nach vorne, während er die ungewohnten breiten Steinstufen nach unten schritt.
Allein das Podest, auf dem Shion lauerte, überragte den Löwen um mehr als die doppelte Höhe. Er musste den Kopf weit nach oben recken, um die dunklen, drohenden Augen des Schattens zu erkennen, der auf seinen Gegner wartete.
Ch'tra ließ seine Augen auf dem Weg nach oben nicht von dem fremdartigen Wesen. Dann betrat er die Kampffläche.
Alice Struuten bebte am ganzen Körper. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen unterdrücken. Ihr Rachen brannte. Sie stolperte auf den Belgier zu, der am Boden lag und sich keuchend wand. Er schrie gequält auf, als ihn die Fotografin stützte. Sie
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