Dunkles Fest der Leidenschaft
nicht finden«, rief die kleine Emma, die mit wippenden Locken den Flur hinuntergelaufen kam. »Ich habe überall geschaut.«
»Bestimmt hat Trav sie genommen«, verkündete Chrissy. »Er hat gesagt, dass Emma kein Engel ist und dass er ihre Flügel wegschmeißen will.« Ihre zu großen Augen waren sehr ernst. Sie war gespannt, welche furchtbare Strafe die Erwachsenen für ein derartiges Vergehen verhängen würden.
Sara verdrehte die Augen, als Emma anfing zu jammern: »Ich bin ein Engel! Ich bin einer! Trav ist ein ganz, ganz böser Junge, nicht, Falcon?«
Falcon hob sie hoch und wirbelte sie im Kreis herum, bevor sich ihr Knatschen zu einem echten Heulkrampf auswuchs. »Ich glaube, Trav ist ein kleiner Schlingel, kein böser Junge. Was könntest du wohl angestellt haben, dass er glaubt, du wärst kein Engel?«
»Er will immer was zu essen haben, und ich habe sein belegtes Brot genommen und es Marias Hund gegeben. Trav braucht das Brot nicht so sehr wie Marias Hund. Trav kann einfach in die Küche gehen. Das hat Sara gesagt, oder, Sara?«
»Das stimmt, Emma«, gab Sara ihr recht. »Es ist immer genug zu essen da, aber du darfst Trav trotzdem nicht sein Brot wegnehmen. Wenn du Marias Hund etwas geben willst, hol es dir aus der Küche.«
Falcon räusperte sich. Das könnte danebengehen. Sie ist imstande, dem Hund nächstes Mal einen Rostbraten zu bringen.
»Was ich damit meine, Emma, ist, dass du Slavica oder Maria fragen musst, bevor du etwas aus der Küche nimmst. Sie wissen, was Hunde essen dürfen«, fügte Sara hastig hinzu.
Emma war vier, und Sara war sicher, dass diese Debatte ewig weitergehen würde, wenn sie nicht schnell das Thema wechselte. »Wir müssen euch langsam ins Gasthaus bringen. Alle warten schon auf euren Auftritt.«
»Wir finden deine Flügel schon, Kleine«, versicherte Falcon ihr und hob den Kopf, um Sara anzulächeln.
Sie hatte es zustande gebracht, für diese Kinder ein Wunder zu wirken. Jetzt waren sie alle auf dem besten Weg, gesund zu werden und langsam daran zu glauben, dass sie nicht stehlen mussten, um etwas zu essen zu bekommen, und immer ein Dach über dem Kopf haben würden. Sara hatte sieben begabte Kinder, die in den Abwasserkanälen Rumäniens gelebt hatten, gerettet und in die Karpaten gebracht. Sara und Falcon standen so früh wie möglich auf und blieben wach, solange sie konnten, um mit den Kindern zusammen zu sein. Sie hatten das Glück gehabt, mehrere menschliche Frauen zu finden, die bereit waren, für sie zu arbeiten und während der Stunden aufzupassen, in denen Falcon und Sara nicht anders konnten, als zu schlafen.
Falcon hätte sich nie träumen lassen, so sehr lieben zu können, aber manchmal, wie zum Beispiel jetzt, schien er vor Liebe überzuquellen. Er umarmte Emma noch einmal, ohne auf ihr Gequieke zu achten, führte die kleine Schar zu dem Sessel, in dem Trav saß und versuchte, ein finsteres Gesicht zu machen. Falcon zwinkerte dem Jungen zu und streckte seine Hand aus. »Gehen wir! Auf uns wartet ein Festmahl, und je eher wir unser Spiel vorgeführt haben, desto schneller bekommt ihr etwas zu essen. Ich weiß, dass Corinne und Mrs. Sanders fantastisch kochen. Diese Mahlzeit wollt ihr euch bestimmt nicht entgehen lassen.«
Travis stand seufzend auf und zog die Flügel hinter seinem Rücken hervor. »Wenigstens muss ich kein Engel sein.« Plötzlich grinste er Falcon an. »Ich bin König!«
Falcon legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Travis war mit seinen acht Jahren der Älteste und hatte früher für die anderen die Verantwortung übernommen, indem er Portemonnaies gestohlen und sich bemüht hatte, etwas zu essen aufzutreiben. Ständig hatte er versucht, seine kleine Schar vor den älteren und stärkeren Jugendlichen auf den Straßen und in den Abwasserkanälen zu beschützen. Der Junge war groß für sein Alter und sehr dünn, mit einem wirren Schopf dunkler Haare, die er sich auf keinen Fall schneiden lassen wollte. Der Junge versuchte, wie Falcon zu sein, und wollte sein Haar deshalb lang und ungebändigt tragen. Nachdem Sara ihn darauf hingewiesen hatte, hatte Falcon einige Zeit damit verbracht, Trav ein paar Pflegetipps für langes Haar zu geben. Heute schien es dem Jungen besser gelungen zu sein als sonst. Nicht einmal Emma hatte etwas an Travis' Haaren auszusetzen.
»Du siehst richtig gut aus.«
»Sara hat gesagt, dass alle von der Kirche ins Gasthaus kommen.«
»Ja, sie gehen in die Mitternachtsmette und kommen anschließend zum
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