Dunkles Fest der Leidenschaft
um den Schmerz zu ertragen. Diesmal waren die Schmerzen stark genug und dauerten so lange, dass alle anderen Karpatianer im Saal mitbekamen, dass bei Shea die Wehen eingesetzt hatten. Köpfe wandten sich in ihre Richtung. Krieger, Frauen und sogar ein paar der Kinder schauten sie an.
Shea zwang sich zu einem Lächeln und nickte. »Es wird Zeit. Wo ist Slavica? Ich muss ihr noch für den wundervollen Abend danken. Er war voller Überraschungen.«
Francesca und Mihail und etliche andere bildeten einen Kreis um Shea.
»Wir müssen dich jetzt in die Geburtskammer bringen«, erklärte Francesca. »Wir schaffen das, keine Angst.«
»Ich bin nervös, aber nicht ängstlich. Jacques wird nicht zulassen, dass uns etwas passiert, nicht wahr?«, fragte sie und schaute ihren Gefährten an.
»Euch passiert ganz bestimmt nichts. Es wird eine schöne und unvergessliche Geburt«, beruhigte er sie.
Shea machte ein paar Schritte in Richtung Tür und blieb dann abrupt stehen, als die Schmerzen in ihrem Bauch immer heftiger wurden und bis zum Rücken durchdrangen. Unsicher strich sie sich ihr Haar aus der Stirn. »Ist dir klar, dass unsere Babys laut jüngsten Berichten in einem schrecklichen chemischen Gebräu sitzen, genauso wie Tiere und Vogeljunge, und dass deshalb so viele Arten gefährdet sind?«
»Shea«, ermahnte Jacques sie, »jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, an so etwas zu denken.«
»Doch, Jacques. Wir müssen alle daran denken.« Sie keuchte, als sie neuerlich von einer Schmerzwoge überschwemmt wurde, die ihr den Atem nahm. Sie biss die Zähne zusammen und zitierte aus Statistiken: »Blut aus der Nabelschnur weist auf, was die Mutter über die Plazenta an das Baby weitergibt. Von den zweihundertsiebenundachtzig chemischen Stoffen, die im Blut der Nabelschnur entdeckt wurden, gelten hundertachtzig als krebserregend bei Menschen und Tieren, zweihundertsiebzehn können das Gehirn und das Nervensystem schädigen, und zweihundertacht haben bei Tierversuchen zu angeborenen Schäden oder anomalen Entwicklungen geführt. Und ich berufe mich dabei auf einen Bericht einer Umweltorganisation aus Washington«, fügte Shea hinzu und holte Luft, als die Schmerzen nachließen. »Jeder sollte sich darüber Gedanken machen. Unter den Substanzen, die im Blut der Nabelschnur lokalisiert werden konnten, fand sich Methylquecksilber, das durch Kohlekraftwerke und bei bestimmten industriellen Prozessen entsteht. Man kann es mit der Luft einatmen oder mit Meeresfrüchten zu sich nehmen, und es erzeugt Hirn- und Nervenschäden.«
»Shea, unser Baby hat bestimmt keinen Hirn- oder Nervenschaden.«
»Du hast diesen Bericht nicht gelesen. Die Forscher fanden außerdem polyaromatische Kohlenwasserstoffe, die bei der Verbrennung von Benzin und Abfall entstehen, flammenhemmende Chemikalien, sogenannte polybrominatische Dibenzo-dioxine und Furane, sowie Pestizide einschließlich DDT und Chlordane.«
»Ich weiß nicht einmal, was die Hälfte von diesen Sachen sein soll«, sagte Jacques und versuchte, Shea zu beruhigen, indem er ihren Arm streichelte, aber sie schüttelte seine Hand ab.
»Genau deshalb hört ja niemand zu. Weil keiner weiß, was das ist, glauben alle, nicht weiter darauf achten zu müssen.« Ihre Stimme war von Panik erfüllt. »Ich weiß, dass es all diese Dinge sind, die unseren Kindern schaden. Wir sind so eng mit der Erde verbunden, und der Boden ist so stark mit Schadstoffen verseucht, dass wir nun auch auf der Liste der gefährdeten Arten stehen.«
»Wir müssen gehen«, drängte Jacques.
Geht jetzt, befahl Mikhail seinem Bruder. Wir können uns nicht leisten, dass die Dorfbewohner mitkriegen, was sie sagt.
Es ihre Art, mit Schmerzen und Angst fertig zu werden, Mikhail.
Das weiß ich, Jacques.
»Ich muss mich noch bei Slavica bedanken«, beharrte Shea, während sie sich gegen die nächste Wehe wappnete.
Mikhail beugte sich zu Raven vor und flüsterte ihr zu: »Sieh zu, dass du sie schnell findest. Wir müssen Shea hier rausschaffen, ehe jemand merkt, was vorgeht.«
»Da kommt Slavica gerade, und sie hat die ältere Dame aus San Francisco bei sich«, stellte Raven erleichtert fest.
Mikhail bewirkte mit einer Handbewegung, dass sich die Menge teilte und Slavica und die andere Frau leichter zu ihnen durchkamen.
Raven eilte ihnen entgegen. »Bei Shea haben die Wehen eingesetzt, und wir müssen sie nach Hause bringen. Sie wollte dich nur begrüßen und dir für den wunderschönen Abend danken, Slavica«,
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