Dunkles Feuer
gewesen, aber sie starb bei der Geburt des Kindes. An diesem Tag war die Welt ein finsterer Ort geworden. Ein Ort voller Einsamkeit.
„Nein!“, sagte er hart. „Es geht ihr nicht gut. Sie ist tot!“
„Aber Dad sagt, dass sie jetzt bei den Engeln im Himmel ist und dass es ihr gut geht“, beharrte der Kleinere.
„Er ist dein Vater, nicht meiner. Mein Vater heißt William, so wie ich. Er lebt in Chicago und ist reich. Dein Dad ist ein Lügner.“
Steves Augen blickten verzweifelt. „Warum sollte er mich anlügen?“,
„Er lügt, weil du noch klein bist.“
„So klein bin ich gar nicht“, protestierte Steve und fügte dann leise hinzu: „Sagst du mir die Wahrheit, Billy?“
„Warum sollte ich? Frag deinen Vater!“
„Du bist mein Bruder. Bitte sag es mir.“
„Du willst es also wirklich wissen?“
Steve nickte stumm.
„Mom ist wegen dir gestorben. Es ist deine Schuld“, brüllte er plötzlich.
Steves Mimik wechselte von Ungläubigkeit zu Fassungslosigkeit. Sein Mund bildete ein ‘O’ und sein Atem keuchte. Obwohl er das Gehörte nicht glauben wollte, erkannte er doch die Wahrheit, die hinter diesen Worten stand.
„W... was meinst du damit?“, stotterte er hilflos.
Billy war aufgesprungen. Sein Finger zeigte auf Steve. „Mutter ist bei deiner Geburt verblutet. Sie hatte schreckliche Schmerzen. Ich habe ihre Schreie gehört, obwohl sie mich nicht zu ihr gelassen haben. Ihre Schreie waren im ganzen Haus zu hören.“ Die Geste, die er nun vollführte, war eine einzige Anklage. „Und du bist schuld. Sie ist wegen dir gestorben!“, mit Tränen in den Augen rannte er davon.
Steve blieb noch eine Weile sitzen, dann stand er zitternd auf und taumelte auf den nahen Wald zu. Die ersten Regentropfen fielen vom Himmel und schufen neue Kreise auf der Oberfläche des Teiches.
Sie fanden Steve erst Stunden später. Zusammengekauert und halb erfroren hockte er in einer engen Erdhöhle, die ein Tier vor langer Zeit unter den Stamm einer mächtigen Eiche gegraben hatte. Lehm klebte an Steves Kleidung. Hände und Gesicht waren schmutzig. Die Beine hielt er mit beiden Händen fest umklammert. Seine Augen waren offen, aber blickten in eine andere Welt. Er weinte nicht, aber sein Körper zitterte.
„Steve, mein Junge, komm zu mir. Alles wird gut werden“, rief sein Vater in die Dunkelheit der Erde, aber Steve antwortete nicht. Sein leises Keuchen drang nach draußen, ein Geräusch, wie es ein sterbendes Reh von sich geben mochte.
Robert Sanders kroch in das Loch hinein und zog seinen Sohn vorsichtig heraus. Tränen der Erleichterung liefen über sein abgehärmtes Gesicht, während er Steve an sich presste und immer wieder seinen Namen flüsterte.
Als die Nachbarn, die geholfen hatten, nach dem Kind zu suchen, sahen, dass Steve in Ordnung war, gingen sie schweigend zurück in ihre Häuser.
Das Licht der Taschenlampe fiel auf das Gesicht des Jungen, dessen Augen noch immer starr in die Dunkelheit blickten. Steve weinte nicht. Er schwieg. Es sollten noch Wochen vergehen, bis er wieder ein Wort sprach.
Robert Sanders nahm die Decke von seiner Schulter und wickelte seinen Sohn sanft darin ein, dann trug er ihn zurück zur Farm.
Er legte Steve in sein Bett und deckte ihn zu. In seinem Inneren tobte ein Sturm aus Erleichterung, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Wut. Die Angst, Steve zu verlieren, hatte ihn an eine Grenze geführt, eine Grenze, hinter der das schwarze Nichts wohnte. Als er sah, dass der Junge die Augen schloss, verließ er das Zimmer.
In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, als er die Stiegen der Treppe hinunterging. In der Küche wartete Billy, dessen Mienenspiel Furcht und Trotz widerspiegelte. Robert Sanders sprach kein Wort. Billy hatte ihm von seiner Unterhaltung mit Steve erzählt. Der Farmer verabscheute Gewalt, aber in dieser Nacht schlug er Billy hart und rücksichtslos.
Er schwieg, während der Ledergürtel seiner Hose die Luft zerschnitt und auch Billy schwieg mit zusammengepressten Zähnen, aber beide vergaßen diesen Augenblick niemals.
Ruth Guterson blickte von ihrem Schreibtisch auf, als Robert Sanders das Sprechzimmer der Schule betrat. Sie kannte ihn nur flüchtig vom letzten Schulfest und freute sich, dass der Farmer ihre Einladung zu einem Gespräch über Steve angenommen hatte, obwohl er sich nur schwer von der Farmarbeit freimachen konnte.
Steve war seit zwei Jahren in ihrer Klasse, und sie mochte ihn. Als Lehrerin auf dem Land bekam sie es oft mit Kindern zu tun,
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