Dunkles Feuer
Und auch sonst hatte sie überhaupt nicht mit Besuch gerechnet. Seit Daniels Unfall kam keiner mehr einfach so vorbei, und sogar der alte Walter hatte seine beängstigenden Besuche eingestellt, wahrscheinlich hatte er eingesehen, dass sie keine Wirkung zeigten.
Diese Abgeschiedenheit war Julie sehr recht, hatte sie doch genug mit ihrem eigenen seelischen Zustand zu kämpfen. Deswegen hatte sie es auch abgelehnt, Peter auf seiner Fahrt zu begleiten. Es war ihm zwar nicht recht gewesen, sie allein zu lassen, doch sie spürte, dass sie das Alleinsein brauchte. Deswegen war sie nicht gerade erfreut, als das Klopfen an der Tür sich noch lauter wiederholte. Vielleicht hatte sie ja Glück und konnte den Besucher ganz schnell abwimmeln.
Als sie die Tür öffnete und den Besucher erblickte, schwankte Julie bedrohlich und wäre vermutlich hingefallen, hätte er sie nicht aufgefangen. Kreidebleich lehnte sie sich Halt suchend an die Wand. Ganz langsam und vorsichtig hob sie den Kopf und blickte ihn prüfend an, kniff die Augen zusammen und schaute wieder hin. Schließlich seufzte sie resigniert.
»Ich geb's auf. Anscheinend bin ich doch verrückt. Du bist doch schon ganz lange hier in dieser Gegend, kannst du mir nicht einen guten Psychiater empfehlen?«
Verständnislos sah Frederik sie an. »Julie, erkennst du mich denn nicht?«
Julie fixierte ihn entschlossen. »Du bist nicht real«, sagte sie langsam. Es klang, als wollte sie sich selbst davon überzeugen.
»Natürlich bin ich das. So real, wie ein Mann es nur sein kann.«
»Dann muss ich träumen.«
Er streckte seinen Arm nach ihr aus. »Sieh dich um, Julie. Sieh mich an. Kommt es dir etwa wie ein Traum vor?«
Sie sah das Blut durch seine Adern pulsieren und die feinen Härchen an seinem Arm sich aufrichten, als sie ihn berührte.
»Kneif mich.«
»Da weiß ich noch etwas viel Besseres.« Er beugte sich zu ihr und verschloss ihren Mund mit einem langen, zärtlichen Kuss.
Sie sah in seine Augen, die nur wenige Zentimeter von den ihren entfernt waren. »Wer bist du?«
Er lächelte. »Ich werde alle deine Fragen beantworten, aber zuerst sollten wir vielleicht lieber reingehen, was meinst du, mein Liebling?«
Julie führte ihn in die Küche. »Ich brauche erst mal einen Kaffee, willst du auch einen?«
»Das ist doch dieses braune Getränk, das ihr immer trinkt. Ich glaube, ich habe es auch schon mal getrunken. Das ist aber sehr lange her.« Als er ihren fragenden Blick bemerkte, fügte er rasch hinzu: »Ich würde sehr gern einen Kaffee mit dir trinken.«
Gespannt sah Julie zu, wie er an der heißen Flüssigkeit nippte und sie vorsichtig herunterschluckte. Sein Gesicht verzerrte sich. »Kann ich noch etwas von dem Zucker haben?«
Als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, lachte er. »Du wolltest sehen, ob ich ihn tatsächlich trinken kann, oder?«
Julie schien verlegen. Sie wusste nicht recht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Er schien ihr fremd und vertraut zugleich. Darüber hinaus war sie immer noch nicht ganz überzeugt davon, nicht mehr zu träumen, auch wenn die Situation doch zu alltäglich war, um mit ihren früheren Träumen vergleichbar zu sein.
Frederik stellte die Tasse ab und nahm ihre Hand. »Du fragtest mich, wer ich sei. Aber das habe ich dir doch schon gesagt. Ich bin ein Geist.«
»Und doch ...«
»Und doch bin ich ein Mann. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, die körperliche Form anzunehmen. Ich kann das natürlich nicht unbegrenzt, doch es ermöglicht mir, dich in deiner realen Welt kennen zu lernen und dein Leben zu teilen.«
»Bist du das Gespenst von Lerouge?« fragte sie argwöhnisch.
Er lächelte. »Ich nehme es an. Immerhin ist mir hier nie ein anderer Geist begegnet.«
Sie wich von ihm zurück. »Aber das Gespenst ist böse.«
Frederik blickte sie bestürzt an. Er hatte immer gute Gründe für seine Handlungen gehabt, und nach dem bösen Streich, den das Schicksal ihm gespielt hatte, hatte er sich immer im Recht gefühlt. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, sich zu fragen, ob andere seine Handlungen als böse auffassen könnten. Schließlich muss jeder mit dem Blatt spielen, das er bekommt.
Julie sah, wie Frederik überlegte. Und irgendwie nahm die Tatsache, dass er nicht einfach sofort antwortete, sie noch mehr für ihn ein. Endlich sah er sie an. »Wer sagt denn, dass ich böse bin? Legenden, Erzählungen von Menschen, die alles fürchten, was sie nicht verstehen.« Er lächelte traurig. »Nicht einmal du vertraust mir, obwohl du
Weitere Kostenlose Bücher