Dunkles Feuer
erfassen.
»Nun komm schon, wir müssen weiter, zum Spielen hast du später auch noch Zeit«, rief Julie ihm fröhlich zu.
»Ja, Mami«, lautete Peters gehorsame Antwort.
Der Rest des Schlosses war nicht weniger eindrucksvoll. Die Möbel, die früher in den unteren Stockwerken gestanden haben, waren im Laufe der Jahre nach oben gewandert, als die Mode sich geändert hatte, und die Besitzer neue Möbel für die Gemächer im Erdgeschoß erworben hatten. Dadurch hatte das Obergeschoß jedoch eine besondere Ausstrahlung bekommen, denn da schien die Zeit vor Hunderten von Jahren stehen geblieben zu sein. In dem schwachen Licht, das durch die schmalen Fenster einfiel, sahen sie uralte Betten aus kostbarem Holz, das jetzt zwar schon morsch, aber noch immer eindrucksvoll war. Sie sahen große, mit Eisen beschlagene Truhen; es gab Decken mit kaum noch sichtbaren Mustern, die von Händen gewebt waren, die schon vor langer Zeit zu Staub zerfallen waren.
Das Obergeschoß schien eine Verkörperung der Vergangenheit, ein Wächter der Erinnerungen. Peter und Julie kamen sich wie Eindringlinge vor, die nicht dorthin gehörten. Und obwohl sie von der Schönheit und Majestät, die in diesen Gemächern herrschten, tief beeindruckt waren, drückten die Stille und die phantastischen Motive der Decken und Gobeline auf ihr Gemüt. Julie gestand sich ein, dass sie nie dazu bereit gewesen wäre, auch nur eine Nacht in diesen gespenstisch stillen, auch bei Tag halb dunklen Räumen zu verbringen.
»Peter, lass uns lieber weitergehen.« Sie fasste ihn am Arm und zog ihn weiter.
Peter, der auch diese Stimmung spürte, widersprach ihr nicht. Am Ende des Ganges entdeckten sie noch eine kleine Treppe, die nach oben, auf das Dach führte. Als Peter diese mühsam aufstemmte, kam ihnen frische, warme Sommerluft entgegen.
Julie und Peter stiegen aufs Dach hinauf, und als ob sie an diesem Tag noch nicht genug Überwältigendes gesehen hätten, offenbarte sich ihren Blicken ein Panorama, das sie für einige Augenblicke sprachlos machte.
Die gesamte Gegend lag wie auf einer Handfläche vor ihnen ausgebreitet. Der satte Rasen umrahmte wie ein grünes Meer das gesamte Schlossgelände; etwas abseits sahen sie das kleine Dorf, in dessen Mitte die Dorfkirche ragte. Ihr von der Sonne beleuchteter Stiel zeichnete sich deutlich vom azurblauen Himmel ab. Ein kleiner Feldweg schlängelte sich durch all das Grün bis hin zum Horizont und ließ die Frage offen, wohin und wie weit er wohl führen mochte.
Kapitel 2
»Eins, zwei und stemmen«, kommandierte Peter. Er und zwei andere junge Männer aus dem Dorf versuchten gerade, die schweren, aufgequollenen Holztüren zu öffnen, was ihnen nicht immer ohne weiteres gelang. Peter schnaufte und keuchte bereits schwer.
Auch Julie und die Frauen, die zur Hilfe geholt worden waren, saßen nicht untätig herum. Im gesamten Schlossgebäude wurde gelüftet, geputzt und gewaschen. Julie und Peter war es bis zum Beginn der Arbeit gar nicht klar gewesen, was diese "Arbeit" eigentlich beinhaltete. Sie hatten gewiss nicht damit gerechnet, dass ihre Aufgabe zunächst darin bestehen würde, sich in regelrechte Putzteufel zu verwandeln und das alte Schloss, das sie jetzt nur noch als ein stickiges verfallenes Gemäuer bezeichneten, auf Vordermann zu bringen. Nach dem ersten Arbeitstag war Julie so müde, dass sie ganz frustriert behauptete, sie hätte genug von diesem Schloss gesehen, um sich zu wünschen, den Auftrag niemals angenommen zu haben. Den ganzen Tag hatten sie geschuftet und hatten nur einige Räume, die sie zum Leben brauchten, notdürftig hergerichtet. Am nächsten Tag schmerzte ihr Körper wie gerädert. Deshalb bestand ihre erste Aktion darin, ins Dorf zu gehen und ein paar Leute als Aushilfe einzustellen. Sie war angenehm überrascht, als, entgegen ihren Erwartungen, sich viele bereit erklärten, ihnen zu helfen. Niemand schien irgendwelche Bedenken zu haben, deshalb legte sich Julies und Peters Unruhe, die sie aufgrund ihres mysteriösen ersten Abends verspürt hatten. Die Menschen aus dem Dorf waren froh darüber, etwas Geld dazu zu verdienen, und außerdem freuten sie sich über jedes außergewöhnliche Ereignis, da ihr Leben sonst sehr ruhig und abwechslungsarm verlief.
Seitdem herrschte im gesamten Schloss ein Zustand des geordneten Chaos, der jeder großen Aufräumarbeit voran geht. Julie lief inmitten dieses Durcheinanders aufgeregt hin und her und lernte soviel übers Putzen und Waschen, wie sie es nie für
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