Dunkles Feuer
insgeheim sah sie es als ihr Meisterwerk an. Und jetzt wurde ihr Werk endlich verstanden. Und es spielte für sie in diesem Augenblick keine Rolle, dass ihr an der Meinung desjenigen, der ihr dieses Verständnis entgegenbrachte, noch vor einigen Minuten nichts gelegen hatte. Es war die innere Bestätigung, die für sie zählte.
Außerdem erstaunte es sie, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ein fremder Mann sie als gleichwertige Gesprächspartnerin akzeptierte. Es kam ihr fast wie ein Traum vor, dass sie sich gerade mit einem Mann völlig ernsthaft über den Inhalt ihres Bildes unterhalten hatte.
Doch Elisabeths dritte Entdeckung in Bezug auf den Earl rückte die beiden vorherigen erst in das Licht, indem sie ihre Bedeutung bekamen. Es hätte immerhin alles nur ein Trick sein können, um sie zu beeindrucken. Doch diese Vermutung wurde durch das Benehmen des Earls völlig unwahrscheinlich: Er war wohl doch nicht an ihr interessiert, sonst hätte er sich bestimmt nicht so bereitwillig von ihrer Gegenwart getrennt, und das gesamte Gespräch wäre anders verlaufen. Etwas musste vorgefallen sein, vielleicht im Gespräch mit ihrem Vater, was ihn dazu gebracht hatte, seine Absichten zu ändern. Natürlich könnte es auch an ihr liegen. Doch der Gedanke, sie wäre nicht anziehend genug für einen Mann, der bekanntlich praktisch vor nichts, was weiblichen Geschlechts war, zurückschreckte, ließ sich nicht mit ihrem weiblichen Stolz vereinbaren.
Letztendlich war jedoch der Grund, warum er seine Meinung geändert hatte, eher nebensächlich. Die Freude darüber, von einem gebildeten Mann als gleichwertig anerkannt zu werden und die Möglichkeit zu haben, jetzt, wo der Earl nicht mehr versuchen würde, sie zu umwerben, einige angenehme Tage in interessanter Gesellschaft zu verbringen, machte die kleine Verletzung ihres Stolzes wieder gut. Denn sie war durchaus der Ansicht, dass nun, da diese "Sache" nicht zwischen ihnen stand, sie und der Earl sich auf einer rein intellektuellen Ebene verstehen könnten.
* * * * * *
»Julie, wo steckst du denn?« dröhnte Peters Stimme durch das Gebäude.
»Hier«, antwortete ihm Julies gedämpfte Stimme.
»Wo ist hier?«
»Im alten Schlafzimmer.«
Peter kam ins Zimmer rein und sah Julie auf dem großen Bett liegen, ihr Diktiergerät in der Hand.
»So, so, die Chefin liegt einfach faul herum, während der Angestellte im Schweiße seines Angesichts schuften muss.« Er wischte sich ein paar imaginäre Schweißtropfen aus der Stirn.
»Julie, ist etwas los?« fragte er ernster, als Julie nicht reagierte.
»Es ist nichts, ich bin bloß müde. Und da ich so gut vorangekommen bin, dachte ich mir, ich habe mir eine kleine Pause verdient. Wie steht's bei dir?«
»Im Blauen Zimmer bin ich fertig. Schon wieder habe ich fast einen ganzen Film voll.«
»Hast du auch wirklich nur deine Arbeit gemacht, oder sind ein paar Landschaftsaufnahmen oder eine spannende Darstellung deines Kugelschreibers auf einem Tisch wieder mit dabei?« fragte Julie mit einem Lächeln.
»Was denkst du von mir, ich habe natürlich gearbeitet. Alle Aufnahmen gehören zum Auftrag. Oder wenigstens fast alle ... auf jeden Fall der größte Teil. Aber du hättest diese Komposition auf dem Tisch sehen sollen, und das Licht, einfach wunderbar ...«
»Schon gut. Ich kenne dich ja. Aber sag mal, gibt es einen besonderen Grund dafür, dass du meine Pause unterbrichst, oder konntest du es fern von mir einfach nicht mehr ertragen?«
»Nicht, dass der zweite Grund nichts damit zu tun hatte, aber eigentlich wollte ich dich nur fragen, was ich als Nächstes tun soll?«
»Am besten eine Pause. Peter, du arbeitest wirklich zu hart. Es ist doch überhaupt nicht notwendig. Wir haben keinerlei Zeitdruck.«
»Ja, ich weiß. Aber irgendwie möchte ich die Arbeit hier so schnell wie möglich abschließen und weiterziehen. Irgendetwas stört mich hier, ich weiß nicht genau, was das ist, aber es wirkt irgendwie beklemmend. Ich kann es nicht erklären, ist bloß so ein Gefühl.«
»Papperlapapp. Bist du etwa immer noch nicht über den ersten Abend hinweg? Glaub mir, das war alles nur eine Reihe von dummen Zufällen, nichts weiter. Komm schon, ein kleiner Spaziergang würde uns beiden bestimmt gut tun, uns auf andere Gedanken bringen. Hier im Schloss würde ja jeder anfangen, Gespenster zu sehen und sich beobachtet zu fühlen, kein Wunder bei der geschichtsträchtigen Atmosphäre.«
»'Sich beobachtet fühlen'? Julie, ich habe nichts davon
Weitere Kostenlose Bücher