Dunkles Feuer
Ausdruck kam.
Kinder durchdrangen alles, es gab keinen Winkel, der vor ihrem Lärm und ihrer Neugier sicher gewesen wäre. Sie kannten keine Angst, hielten sich nicht an Regeln. Sie wollten immer alles sehen, alles wissen, erfahren, verstehen. Sie waren ein Rätsel, denn sie stellten alles in Frage und waren gleichzeitig bereit, Dinge zu glauben, die ein Erwachsener nie für möglich halten würde. Kurz - sie ließen einem keinen Augenblick der Ruhe.
Er konnte sich nur verstecken, denn würde er versuchen, sie zu verschrecken und zu verjagen, würden aus Lachen und Schreien Tränen und Gebrüll - ein nicht minder unausstehlicher Lärm. Das alles hatte er schon zur Genüge erfahren, jedoch nicht gelernt, wie man sie loswerden könnte. Deshalb wünschte er sich sehnlichst, dass die Kinderschar bald verschwinden sollte.
Doch so schnell wollte Frederik die Hoffnung auf einen ruhigen Vormittag nicht aufgeben. Er kannte eine sehr schöne Laube im alten Garten, die man nur durch halb überwucherte Pfade erreichen konnte. Allein der Spaziergang dorthin wäre es wert gewesen, doch die Krönung war, in dem alten, meisterhaft gebauten und verzierten Pavillon zu sitzen - in ihrem Pavillon - der ihn so sehr an sie erinnerte, dass er noch immer einen bittersüßen Schmerz verspürte, wenn er daran dachte.
Doch er driftete schon wieder ab. Irgendwie schien er in letzter Zeit sentimentaler geworden zu sein. Vielleicht wurde er ja alt.
Kühler führte er den Gedanken zu Ende. Auf jeden Fall war es ein sehr schönes schattiges Plätzchen, wo ihn gewiss kein Kinderlärm erreichen würde. Er nahm sein Buch und ging zum Fenster. Doch schon der erste Blick hinaus auf die Parklandschaft zeigte ihm, dass ihm auch dieser Ausweg verwehrt blieb. Draußen herrschte das typische englische Wetter, das es in diesem Sommer noch nicht sehr oft gegeben hatte. Ein feiner Nieselregen fiel stetig vom Himmel herab. Alles war in kaltes graues Licht getaucht, so dass ein Spaziergang selbst einem Geist in seiner körperlosen Form nicht verlockend erschien. Außerdem bevorzugte er es, für Spaziergänge im Garten die feste Form anzunehmen, da ein Geist zwar nicht die Kälte und den Regen spüren konnte, dafür jedoch auch nicht fähig war, die Wärme der Sonne oder die leichte Liebkosung des Windes auf seiner Haut zu genießen. Doch sogar der körperlose, der rein ästhetische Genuss der ihn umgebenden Natur fiel heute leider aus, da die Landschaft bei diesem Wetter wahrlich keine Anziehungskraft auf ihn ausübte.
Frustriert legte Frederik das Buch an seinen Platz im Schrank zurück, bei diesem Lärm würde er sich ohnehin nicht genügend konzentrieren können, um in die Handlung einzutauchen, seine Umgebung zu vergessen und vor seinem inneren Auge ein anderes Leben mit Freud und Leid vorüberziehen zu sehen, in eine andere Welt zu fliehen und einmal nicht über seine eigene Existenz nachdenken zu müssen.
Er lauschte den von unten heraufhallenden Stimmen, konnte jedoch keinen klaren Satz ausmachen, da alles zu einem stetigen Strom verschmolz.
Wenn er schon keine Ruhe haben sollte, dann könnte er genauso gut herausfinden, warum die Kinder eigentlich da waren, denn alles, was auf dem Schloss vorging, hing mit Julie und Peter zusammen und hatte somit direkten Einfluss auf seine eigenen Pläne.
»So, das ist jetzt die letzte Station unserer kleinen Führung«, Julie drehte sich zu der ihr folgenden Kinderschar um. Dafür, dass die meisten zwischen zehn und vierzehn Jahren alt waren, hatten sie sich erstaunlich gut benommen. Daniel hatte ihr diesbezüglich nicht zuviel versprochen. Und wie stolz er auf seine Truppe war, war wirklich nicht zu übersehen. Das konnte er auch durchaus sein. Die Führung war ohne Zwischenfälle verlaufen, und es war erstaunlich, wie interessiert sie alle zugehört und was für gute Fragen sie gestellt hatten.
»Das ist die Schlossbibliothek«, fuhr Julie mit ihren Erläuterungen fort. Die Köpfe drehten sich sofort zu allen Seiten, um alle Einzelheiten des nicht allzu großen Raumes in sich aufzunehmen. Die Bibliothek war einfach eingerichtet. Da standen mehrere Holzregale, die mit populären Büchern aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts gefüllt waren. Dazwischen hatte Julie jedoch auch einige ältere Klassiker entdeckt.
Gleich neben einem großen gemauerten Kamin standen zwei bequeme Sessel, die einen praktisch dazu aufforderten, sich einen Schmöker zu nehmen und alles andere um sich herum zu vergessen. Dem Zustand ihres
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