Durch die Hintertür
Ich zeigte ihm mein Mitgefühl und hörte mir sein unsinniges Geschwätz über Frauen an (als hätte ich in diesem Bereich irgendwelche Erfahrungen!), während ich mit Freuden feststellte, dass er so frustriert war, wie es ein Zwanzigjähriger nur sein konnte. Die gesellschaftlichen Grenzen der Zwanzigerjahre, die heterosexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe untersagten, arbeiteten mir in die Hände.
Wir waren zu sechst an der Tafel. Neben Leonard und gegenüber von Belinda saß die frostige und unfreundliche Lady Diana ›Whopper‹ Hunt, die in aller Eile am Nachmittag aus Trouville eingetroffen war. Sie behandelte alles und jeden – Gäste, Dienstboten, Essen und Trinken – mit Geringschätzung. Sie sah immerzu aus, als hätte jemand neben ihr einen Furz gelassen – genau diese Art von Ekel zog ihr die Mundwinkel nach unten. Vielleicht, so versuchte ich zu ihren Gunsten zu erklären, vermisste sie ihren Verlobten Rex Eagle, dessen plötzliche Abreise wegen »Geschäften in London« noch immer keine triftige Erklärung gefunden hatte. Allerdings sah sie nicht nach dem Typ Frau aus, der sich aufgrund der Abwesenheit einer Person vor Gram verzehrte. Ich kannte Rex nicht wirklich; er schien mir ein ernsthafter, aber anständiger junger Mann zu sein. Er hatte vor zwei Jahren sein Studium in Cambridge abgeschlossen und war bei den Ruderern dort eine Art lebende Legende. Er konnte lustig und freundlich sein, wenn er nur wollte, und hatte mich auf Drekeham Hall durchaus herzlich aufgenommen – und doch wirkte er in letzter Hinsicht reserviert. Vielleicht war das ja das Los des ältesten Sohnes. So ernsthaft Rex auch sein mochte, selbst er konnte sich kaum von Diana Hunts hochnäsiger Kälte angezogen fühlen. Ich hatte den Eindruck, dass dynastische Gründe hinter der Verlobung standen; eine Liebesheirat war dies sicher nicht.
Bis zum Nachtisch lief alles gut. Leonard schwatzte über eine wilde Party in einem der öffentlichen Badehäuser – »man hatte den Saal in einen Wintergarten verwandelt, ein Neger-Orchester spielte, und es wurden ganz entzückende Badewasser-Cocktails serviert – die bestanden wahrscheinlich größtenteils aus Gin, denn alle waren sehr betrunken und feierten ganz ausgelassen« (dabei warf er mir einen Blick zu und presste mit dem Fuß meine Eier). Alle anderen starrten auf ihren Rhabarberstreusel und suchten verzweifelt nach Gesprächsthemen. Als die Käseplatte serviert wurde, tischte er uns einen haarsträubenden Bericht über irgendeinen ›Jux‹ im East End auf (wahrscheinlich war es die stark zensierte Fassung). Als die Damen sich zurückzogen und die Männer blieben, um über die schwerwiegenden Fragen des Tages zu debattieren, zündete Sir James sich eine dicke Zigarette an und verlor sich in Rauchkringeln. Leonard zückte ein stilvolles Zigarettenetui aus Silber und bot uns jüngeren Männern davon an. Die Dienstboten räumten den Tisch ab, Portwein wurde gereicht. (Ich kann das Zeug nicht ausstehen und goss mir nur einen Schluck davon ein, ehe ich die Karaffe an Morgan weiterreichte, der sich das Glas vollmachte.)
Sobald die Luft rein war, wagte sich Leonard auf gefährliches Terrain.
»Nun, meine Herren, welch ein scheußlicher Tag.«
Diese Bemerkung stieß auf Schweigen, und ich ging davon aus, dass Leonard genug Takt besäße, sich nun unverfänglicheren Themen wie Politik oder Religion zuzuwenden.
»Man stelle sich nur vor, die Polizei auf Drekeham Hall.«
Sir James warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu, sagte aber nichts.
»Und dieser arme junge Mann, der nun tot irgendwo auf einer Steinplatte liegt …«
»Das genügt jetzt, Leonard«, sagte Sir James in dem Tonfall, mit dem er so oft das Parlament zur Ruhe ermahnt hatte.
»Er tut mir einfach furchtbar leid, ebenso wie seine Familie«, fuhr Leonard fort, der seinen Bruder ein Leben lang ignoriert hatte und das jetzt sicher nicht ändern würde. Die ganze Zeit über fixierten seine Augen mich.
»Aber was kann man auch erwarten, wenn auf einmal Menschen aus den unteren Schichten ins Haus strömen?«
Sir James seufzte und legte den Kopf in die Hände. Zu meiner Überraschung sagte er aber nichts.
»Wenigstens hat die Polizei den Täter«, fügte Leonard hinzu. Dies war ganz eindeutig auf mich gemünzt; ich fragte mich, ob meine Stippvisite in der Wache von Drekeham mittlerweile auch hier im Haus bekannt war.
»Aber Sie glauben doch wohl nicht, dass Meeks der Mörder ist?«, fragte ich und spielte die Rolle
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