Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
weiß nicht mehr genau ...<«
»Hast du nicht einfach >hallo< gesagt oder so was?«
Ariel schüttelte den Kopf, danach schwieg er lange. Schließlich fuchtelte Cecilie mit einem Arm.
»Moment noch! Es liegt mir schon auf der Zunge!«
»Dann spuck es doch aus, ehe es plötzlich >wieder weg< ist!«
Er setzte sich auf die Fensterbank, genau wie beim ersten Mal, als er sich ihr gezeigt hatte. Cecilie blickte zu ihm auf und sagte:
»Du hast gefragt, ob ich gut geschlafen hätte!«
»Gratuliere!«
»Das war ja nicht schwer!«
»Aber ich bin Zeuge eines großen Mysteriums geworden. Ich habe dich gefragt, ob du dich an etwas erinnern kannst, und du hast gesagt, du hättest es vergessen. Einfach weg also. Aber als du dich nicht erinnern konntest, was war das genau für ein Gefühl?«
Cecilie seufzte resigniert.
»Stimmt schon, das ist ein seltsamer Gedanke. Manchmal fällt mir eben plötzlich was ein.«
»Woher genau fällt dir das ein?«
»Aus dem Kopf.«
Ariel ließ sich jetzt wirklich Zeit.
»Und wohin genau fällt es dir ein?«
Sie mußte lachen.
»In den Kopf.«
»Aus dem Kopf in den Kopf also. Obwohl wir die ganze Zeit über ein und denselben Kopf reden. Aber nicht nur an das, was ihr seht und hört, erinnert ihr euch und vergeßt es dann wieder, um euch dann wieder daran zu erinnern. Das Gehirn handelt auch auf eigene Faust. Das nennt ihr dann >denken<. Da verschieben sich die vielen kleinen Steine an dem großen Strand ganz ohne die Hilfe der Wellen.«
Wieder lachte Cecilie.
»Ich versuche, mir das vorzustellen! Und wenn sie nun einfach so durch die Gegend hüpfen?!«
»Auch ein Gedanke, den du gedacht hast - zum Beispiel, daß ein Weihnachtsstern verschwunden ist -, kann eine Zeitlang beiseitegeschoben werden, dann aber wird er wieder ins Bewußtsein gehoben. Dann spulst du gewissermaßen dein Bewußtsein zurück, um gerade diesen Gedanken noch einmal zu denken. Ich glaube, ihr laßt jede Menge alter Gedanken neu durchlaufen, die eigentlich längst restlos ausgedacht sein müßten.«
»Ich würde eher sagen, daß so ein Gedanke von selbst auftaucht. Wir können nicht immer selbst bestimmen, woran wir uns erinnern und was wir vergessen wollen.
Manchmal denken wir an Dinge, an die wir überhaupt nicht denken wollen. Ein anderes Mal versprechen wir uns. Dann sagen wir Dinge, die wir eigentlich nicht hatten sagen wollen. Und das kann manchmal sehr peinlich sein!«
Der Engel Ariel saß auf der Fensterbank und nickte und nickte mit seinem kahlen Schädel.
»Dann ist es vielleicht so, wie ich befürchtet habe«, sagte er.
»Wie denn?«
»Ihr habt nicht nur eine Seele, so wie wir. In gewisser Hinsicht habt ihr zwei - oder auch ganz viele Seelen. Oder wie würdest du erklären, daß ihr an Dinge denkt, an die ihr nicht denken wollt?«
»Ich weiß nicht.«
»Diese unerwünschten Gedanken können ja nicht von eurem Bewußtsein gelenkt werden. Das ist dann ungefähr wie ein Theater, von dem ihr nicht die geringste Ahnung habt, welches Stück als nächstes auf dem Spielplan steht.«
»Meinst du, die Seele ist das Theater, und die Schauspieler auf der Bühne sind die Gedanken, die immer wiederauftauchen und die verschiedenen Rollen spielen?«
»So ungefähr. Im Theater des Bewußtseins gibt es jedenfalls viele Zimmer. Und es muß auch viele verschiedene Bühnen geben.«
Er hob von der Fensterbank ab, schwebte in hohem Bogen über den Boden und setzte sich wieder ans Fußende von Cecilies Bett.
»Kannst du versuchen zu erklären, was das in deinem Kopf für ein Gefühl ist, wenn du an etwas denkst?« bat er.
»Ich spüre nichts.«
»Aber kitzelt es denn nicht, wenn du an einen witzigen Gedanken denkst? Tut es kein bißchen weh, wenn du an etwas Trauriges denkst?«
»Irgendwie kitzelt es schon, wenn ich an etwas Witziges denke. Vielleicht tut es auch ein bißchen weh, wenn der Gedanke traurig ist. Aber das passiert dann nicht im Kopf. Es passiert in der Seele, und die Seele ist nicht dasselbe wie der Kopf!«
»Ich stelle mir vor, daß auf jeden Fall die Nervenstränge ein bißchen jucken«, widersprach Ariel.
Cecilie blickte den Engel herausfordernd an.
»Du willst doch nicht behaupten, Engel denken auch nicht?«
»Doch, genau das. Engel dürfen ja schließlich nicht lügen.«
»Ich finde, jetzt gehst du zu weit.«
»Aber wir denken wirklich nicht. Nicht so wie Menschen aus Fleisch und Blut. Wir brauchen nicht >nachzudenken<, um irgendeine Antwort zu finden. Alles, was wir wissen, und alles,
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