Durch Himmel und Hoelle
regelmäßig dort hielten, weil Passagiere umsteigen oder müde Pferde ausgewechselt werden mußten.
»Komm zurück, du Bengel!« brüllte Tibbitts, als ein kleiner, ma- gerer Junge an ihm vorbei den langen, schmalen Gang hinunter- rannte. Er streckte einen langen, haarigen Arm aus und packte den Buben am Genick. »Was treibst du denn da? Hab' ich dir nicht ge-
sagt, du sollst das Zimmer des Herrn aufräumen?« schrie Tibbitts und schüttelte ihn.
»Ich wollte es ja machen, aber der Herr hat mir gesagt, ich soll verschwinden, und hat dabei ziemlich böse geschaut. Da hab' ich mich lieber schnell aus dem Staub gemacht«, sagte der Junge trotzig und versuchte, sich loszureißen.
»Wenn du Bengel mir nicht die Wahrheit sagst, werd' ich dir den Kopf abreißen. Einen Lügner, der mich bei den Herrschaften in Verruf bringt, kann ich hier nicht brauchen. Ich hab's erlebt, wenn sie wütend werden, und ich will's nicht noch mal mitmachen. Es ist kein schöner Anblick, wenn sie in Rage kommen. Ich kann mich er- innern, wie eine Dame da stand, wo du jetzt stehst, und vor Wut mit den Zähnen geknirscht hat, weil ich ihrem kleinen Hund nicht das beste Stück Fleisch gegeben habe. Sie hat ihn immer dabei gehabt - sie hat ihn nie aus den Augen gelassen. Sie hat mir sogar wegen die- sem verfluchten, keifenden Stück Pelz auf die Finger geklopft. Darum wirst du Tunichtgut mich nicht in Verlegenheit bringen, hast du gehört?« knurrte Tibbitts den zitternden Buben an.
»Ich hab' keine Lügen erzählt!« schrie dieser, als Tibbitts noch fe- ster zupackte.
»Also gut, du Bengel, verschwinde nach hinten, und laß mich ja kein Wort hören, sonst...« sagte er und gab dem Buben einen Schubs, dann drehte er sich um und ging in die Gaststube.
Er beobachtete kritisch das Mädchen, das den Tisch für das Abendessen herrichtete. Er war für mehrere Personen gedeckt, weil sein privates Speisezimmer im Moment von einer furchteinflößend aussehenden Dowager Duchess belegt war. Die zwei wohlbetuch- ten Londoner Gentlemen, die schon zwei seiner besten Zimmer ge- mietet hatten, mußten sich wohl zum Abendessen Gesellschaft lei- sten, und vielleicht würden nach Eintreffen der Postkutsche noch mehr Gäste auftauchen, obwohl sie bei diesem Wetter bestimmt ein paar Stunden Verspätung hatte. Er hatte bereits mehrere Zimmer
für Gäste vorbereiten lassen, die umsteigen und notgedrungen übernachten mußten, bevor sie eine andere Kutsche besteigen konnten. Er lächelte stillvergnügt und rieb sich schon die Hände in Erwartung der hohen Trinkgelder.
Keine schlechte Nacht, dachte Tibbitts, als er noch ein paar Scheite in das prasselnde Feuer im Kamin warf. Die Flammen zün- gelten hoch, erhellten die Schatten im Raum und warfen etwas Licht auf die niedere Decke mit den schweren Eichenbalken, die von den unzähligen Feuern des großen Kamins rußgeschwärzt waren. Die Zinnflaschen und Becher glänzten matt auf den Wandbrettern, und der Talg, der von den dicken Kerzen tropfte, zischte, wenn er auf das kalte Metall der Messingleuchter traf.
Ein breites Grinsen breitete sich auf Tibbitts Gesicht aus, bei dem Gedanken an die Goldstücke, die bald in seinen Taschen klimpern würden, aber jetzt wäre eine warme Mahlzeit, die seinen Magen füllte, auch nicht schlecht.
Sir Jason Beckingham, der im Zimmer direkt über dem Tibbitts aus dem regennassen Fenster starrte, war nicht nach Lachen zu- mute.
Er war wütend! Ausgerechnet hier, unter dem gleichen Dach, in einem Zimmer, auf demselben Gang war sein erbittertster Feind, Lord Alex Trevegne untergebracht. Wie er es haßte, auch nur den Namen dieses Teufels zu hören! Er hatte seinen Augen nicht ge- traut, als er Trevegne vor ein paar Minuten in den Hof reiten sah. Sein großes schwarzes Pferd scharrte ungeduldig im Schlamm, wäh- rend Trevegne abstieg, ins Haus eilte und die Stallburschen sein Pferd wegführten.
Lord Trevegne... dieser Name klang drohender für ihn als der ohrenbetäubende Donnerschlag draußen. Seit dieser Dämon in sein Leben getreten war, hatte sich sein Glück gewandelt. Bei Wetten hatte er eine Glückssträhne gehabt. Außerdem ermöglichten ihm die Gewinne aus vielen nächtlichen Kartenspielen zum ersten Mal
seit geraumer Zeit, in Frieden zu leben, ohne daß seine Gläubiger ihm die Tür einrannten.
Er war viel zu lange verschuldet gewesen, um sich mit seinem vorübergehenden Reichtum zufriedenzugeben. Er wußte nur zu gut, wie schnell die täglichen Ausgaben ein Loch in den
Weitere Kostenlose Bücher