Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
und Zustand der Leiche. Aber eine Leiche haben Sie ja nicht – im Keller.« Er grinste.
Ich erwiderte das Grinsen.
»Zwei Variablen sind wichtig: die Feuchtigkeitsmenge in der Erde und das Gewicht des Körpers vor der Verwesung. Da jeder ein unterschiedliches Verhältnis von Fett- und Muskelgewebe besitzt, gehe ich, wenn ich keine Leiche habe, von einem Standardgewicht von fünfundsiebzig Kilo aus und benutze dann einen Korrekturfaktor. Wir können doch mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass Ihr Verstorbener zwischen fünfzig und einhundertfünfzig Kilo wog, oder?«
»Ja. Aber wenn wir das tun, erweitert sich unser Zeitrahmen, nicht?«
»Leider. Haben Sie vorläufig schon mal über den Daumen gepeilt?«
Da die Freisetzung von volatilen Fettsäuren nach 1285 akkumulierten Gradtagen plus oder minus 110 aufhört, ist es möglich, zu einer groben Zeitschätzung zu kommen, indem man 1285 durch die durchschnittliche Tagestemperatur des Tages, an dem die Leiche gefunden wurde, teilt. Ich hatte das für Lucy Crowe gemacht. Die Durchschnittstemperatur in Bryson City hatte gestern achtzehn Grad betragen, was eine maximale ZST von einundsiebzig Tagen ergab.
»Das wäre der Zeitpunkt, an dem die Skelettierung abgeschlossen war, und VFS wären dann nicht mehr festzustellen.«
Laslo sah auf die Uhr an der Wand.
»Mal sehen, wie genau Sie waren.«
Er stand auf, filterte die Erdlösung, verwirbelte sie und stellte das Röhrchen in den Gaschromatografen. Nachdem er die Kammer verschlossen und das Gerät entsprechend eingestellt hatte, wandte er sich wieder mir zu.
»Das dauert jetzt ein paar Minuten. Kaffee?«
Als wir ins Labor zurückkehrten, zeigte der Monitor eine Reihe von Spitzen in verschiedenen Farben und eine Liste der Komponenten und ihrer Konzentrationen.
»Jede Kurve zeigt die Konzentration einer flüchtigen Fettsäure pro Gramm des Trockengewichts der Erde. Zuerst korrigiere ich im Hinblick auf Verdünnung und Erdfeuchtigkeit.«
Er drückte ein paar Tasten.
»Jetzt kann ich die AGT für jede VFS berechnen.«
Er fing mit der Buttersäure an.
»Siebenhundert akkumulierte Gradtage.«
Nun stellte er die entsprechenden Berechnungen auch für die anderen Säuren an. Mit einer Ausnahme bewegten sich alle AGT im Bereich zwischen 675 und 775.
»Jetzt werde ich mit Hilfe der Daten des Wetterdienstes die Zahl der Tage bestimmen, die nötig sind, um 675 bis 775 akkumulierte Gradtage zu erreichen. Kann sein, dass wir später korrigieren müssen, falls die Temperaturmessungen an der Leichenfundstelle von den offiziell aufgezeichneten Daten abweichen. Normalerweise weiß ich das gerne im Voraus, aber ein großes Problem ist es nicht.«
Wieder drückte er ein paar Tasten. Ich hielt den Atem an.
»Einundvierzig bis achtundvierzig Tage. Das ist Ihre Zeitspanne. Nach Ihrer Berechnung wäre die Skelettierung nach einundsiebzig Tagen abgeschlossen gewesen.«
»Das heißt, der Tod trat vor sechs bis sieben Wochen ein.«
Er nickte. »Aber vergessen Sie nicht, dass dieser Zeitrahmen auf einem geschätzten, nicht auf einem tatsächlichen Lebendgewicht basiert.«
»Und dass zu der Zeit, als der Fleck produziert wurde, die Leiche noch Fleisch besaß und der Verwesungsprozess im Gange war.«
Er nickte.
»Aber Sie haben ja keine Leiche.«
»Vor allem keine im Keller.«
Ich fuhr direkt zu Lucy Crowes Büro. Es hatte aufgehört zu regnen, aber über den Bergen drängten sich tief hängende, dunkle Wolken, die aussahen, als würden sie gleich den nächsten Guss bringen.
Crowe saß hinter ihrem Bürgerkriegs-Schreibtisch und aß ein Würstchen im Maismantel. Als sie mich sah, wischte sie sich die Brösel vom Mund und warf dann das Holzstöckchen und die Tüte in hohem Bogen in den Abfalleimer am anderen Ende des Raums.
»Zwei Punkte«, sagte ich.
»Direkt ins Netz. Keine Rahmenberührung.«
Ich legte ihr die Ausdrucke auf den Tisch und setzte mich. Eine ganze Minute lang studierte sie, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Finger an den Schläfen, die VFS-Profile. Dann hob sie den Kopf.
»Ich weiß, dass Sie mir das erklären werden.«
»Volatile Fettsäuren.«
»Bedeutet?«
»Dass innerhalb dieser Mauer ein Körper verwest ist.«
»Wessen?«
»Die VFS-Verhältnisse legen eine Zeit seit dem Tod von sechs bis sieben Wochen nahe. Daniel Wahnetah wurde Ende Juli zum letzten Mal gesehen und Anfang August als vermisst gemeldet. Jetzt haben wir Oktober. Rechnen Sie mal nach.«
»Mal angenommen, ich
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