Durst - Roman
auf. «Wurde er denn nicht in die Armee einberufen?»
«Nein, seine Funktion in der Versorgungskette war den Verteidigern wichtiger.»
Ich überlegte.
«Wann sind Sie in die Schweiz gekommen?»
«Im Juli fünfundneunzig, nachdem die kroatische Armee mit der Vertreibung begonnen hatte.»
«Hatte Ihr Mann Feinde gehabt – ich meine damals, in der Krajina?»
«Feinde?» Sie sah mich verständnislos an. «Warum sollte Zoran Feinde gehabt haben?»
Ich begann nun schon im Schatten zu schwitzen. Ich hatte ein Gefühl, als würde mein Gehirn langsam quellen und gegen die Schädeldecke drücken. Ich wagte einen Ausfall.
«Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Ihr Mann wegen Geldwäscherei von der Schweizer Justiz ins Visier genommen worden war?»
Sie sah mich auf eine ganz seltsame Weise an.
Ich liess mich nicht irritieren: «Wussten Sie, dass Zoran Slavkovi ć Gelder aus dem Drogenhandel sauber wusch und damit ein Vermögen machte?»
Ihr Blick glich dem eines in die Enge getriebenen Tieres.
«Natürlich wussten Sie es, oder wie erklärten Sie sich sonst dieses Haus?»
Sie schwieg und sah an mir vorbei.
Auf einmal tat sie mir leid. Was, wenn sie davon nichts gewusst hatte? Ihr Mann konnte ihr irgendwas erzählt haben. Ich bereute, dass ich die Sache erwähnt hatte. Wer wusste, was noch alles auf sie zukäme …
«Hören Sie, Frau Slavkovi ć , ich will Sie nicht zusätzlich bekümmern. Warum ich das alles wissen will: Der Mörder hatte nicht im Affekt gehandelt – die Tat war bis ins Detail geplant und wurde wie angekündigt ausgeführt. Warum sollte das ein Neider tun? Selbst wenn jemandem die Geschäfte Ihres Mannes ein Dorn im Auge waren, so sehr, dass sich dieser entschloss, Ihren Mann zu beseitigen – wozu auf diese Aufsehen erregende Weise? Das ergibt einfach keinen Sinn!»
Sie hatte sich mir wieder zugewandt. Sie wirkte müde.
«Ich vermute, dass wir es hier mit einer Abrechnung zu tun haben, deren Ursprung viel tiefer liegt. Der Mörder musste Ihren Mann gekannt haben – ich meine, bevor er in die Schweiz kam. Weshalb sonst dieses Andri ć -Zitat von Bosnien als dem Land des Hasses?»
Sie zog die Schultern hoch.
«Wenn es da irgendwas gibt, was ich wissen sollte, bitte ich Sie, es mir zu sagen.»
Ihre Stimme klang trotzig: «Mein Mann hatte keine Feinde in der Kraijna. Das habe ich Ihnen bereits gesagt.»
Ich machte einen letzten Vorstoss: «Es wird erzählt, Ihr Mann habe in der Armee gedient. Er habe ein Kommando geführt – das sollen seine eigenen Worte gewesen sein.»
Zuerst wurde sie bleich, dann bekam ihr Gesicht wieder Farbe. Ihre Stimme zitterte: «Wer erzählt so etwas? Ich habe ein Recht, es zu erfahren!»
«Stimmt es also, dass Ihr Mann zwischen einundneunzig und fünfundneunzig …»
«Jetzt hören Sie gut zu! Wer auch immer das erzählt, ist ein Lügner. Sie sprechen immer davon, dass Sie die Wahrheit herausfinden wollen – und dann nehmen Sie das Geschwätz irgendeines Schwindlers für bare Münze!»
Sie holte Luft. «Mein Mann war während der Kriegsjahre damit beschäftigt, den Leuten Lebensmittel zu verkaufen. Das war sein Kommando: zu sorgen, dass die Leute nicht verhungerten.»
Ich sah, dass sich nichts machen liess. Ich trank das Wasser, das sie mir zum Kaffee serviert hatte, und rückte vom Tisch weg.
«Es macht mir keinen Spass, Sie mit diesen unangenehmen Fragen zu belästigen.»
Ich stand auf. «Falls Ihnen doch etwas einfallen sollte, was mir von Nutzen sein könnte – lassen Sies mich wissen.»
Sie schien erleichtert, dass unser Gespräch beendet war, und begleitete mich zur Tür.
Ich stand im überfüllten Bus. Es stank nach Mensch. Der Schweiss rann mir übers Gesicht. Ich versuchte flach zu atmen und dachte an Rosalia, während das plumpe Gefährt Emmenbrücke verliess. Was sie mir wohl angeboten hätte, wenn ich noch auf ihr Zimmer gegangen wäre. Bier, Mineral – oder ihre Liebesdienste?
Je näher wir dem Bahnhof kamen, desto geringer wurde der Ausländeranteil an den Passagieren. Ich stieg um. Im Bus Richtung Kastanienbaum war ich dann gänzlich in der Schweiz angekommen. Das lauteste Geräusch verursachte eine dicke Schmeissfliege, die gegen die Fensterscheiben anstürmte.
Brechbühl wohnte in einer stattlichen Villa mit Seeanstoss, einem Park mit Lusthäuschen, alten Bäumen und einer Doppelgarage, die an das Hauptgebäude angebaut war. Das Haus selbst war von eher biederer Bauart, protzig und klotzig und ein wenig nostalgisch. Ganz alles liess
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