Durst - Roman
den Duft ihrer Haare mit mir, während ich eine spärlich beleuchtete Treppe zwischen zwei Hochhäusern hinaufstieg.
Zu Hause trank ich den restlichen Wein und bemühte mich, in Zusammenhängen zu denken. Ich notierte: «Slavkovi ć war vermutlich an Müllers Nachtklub beteiligt» und darunter den Satz: «Ein erster Verdächtiger: der Mann, der für die Schweizer Demokraten Unterschriften sammelt.» Daraus eine zwingende Strategie abzuleiten, war mir jedoch unmöglich. Meine Gedanken kreisten alle um einen Punkt, der sie wie ein Strudel anzog und in die Tiefe zu reissen drohte.
Es ging mir elend, als mich anderntags der Wecker aus dem Schlaf riss. Ich hatte schlecht geträumt und stand noch während Minuten unter dem Eindruck der Sequenzen, in denen sich Slavkovi ć , Dorothea, der Schweizer Demokrat, Rosalia und Brechbühl zu wirren Konstellationen formierten.
Unter der Dusche dann brachte ich den ersten klaren Gedanken zustande. Es gab eine neue Spur, die ich verfolgen musste: Der Schweizer Demokrat hatte ein Motiv.
Nach dem Frühstück, das ich im Café Peter einnahm, telefonierte ich mit Slavkovi ć s Frau und vereinbarte noch vor dem Mittag einen Termin. Dann rief ich Brechbühl an und berichtete, dass ich an einem neuen Buch arbeite und ihn deswegen sprechen müsse. So wie sich die Dinge – auch finanziell – entwickelten, brauchte ich einen Vorschuss. Er lud mich zum Mittagessen ein.
Der nächtliche Regen hatte ein wenig Abkühlung gebracht, aber schon stand wieder eine sengende Sonne am Himmel. Ich machte mich zu Fuss auf den Weg in der Hoffnung, so die letzten Bilder der Alpträume abschütteln zu können.
Frau Slavkovi ć war nicht mehr so blass wie beim ersten Mal. Es hatte den Anschein, als hätte sie die vergangenen Tage auf dem Gartenplatz verbracht, den man von aussen der hohen Buchshecken wegen nicht einsehen konnte. Neben dem Liegestuhl stand ein Stapel dicker Bücher mit harten Einbänden. Ich vermutete Historisches, allenfalls Politikerbiografien.
«Soso, Sie möchten sich also über die Vergangenheit meines Mannes erkundigen», sagte sie – während sie das Tablett auf den Gartentisch stellte – in ihrem tadellosen Hochdeutsch, nur dass sie weiterhin «möchten» wie «mechten» und «über» wie «iber» aussprach.
«Das ist unbedingt nötig, um ein Profil des Mörders zu erstellen.»
Ein reflektierendes Kaffeelöffelchen brannte einen blinden Fleck in meine Netzhaut.
«Warum sind Sie sich überhaupt so sicher, dass der Verfasser der Briefe ein Mann ist? Es könnte ja auch eine Frau sein …»
«Natürlich …» Ich war ein wenig verwirrt. «Selbstverständlich könnte der Mörder auch eine Frau sein – es ist zumindest nicht ausgeschlossen.»
«Sie haben mir doch am Telefon erzählt, Sie seien der Person bereits auf den Fersen?»
Ich schlürfte Kaffee und rückte in den Schatten des Vordaches. «Das genügt nicht, ich brauche Beweise.»
«Hören Sie, Sie arbeiten hier nicht für die Justiz! Sagen Sie mir, wer die Briefe geschrieben hat, und damit ist Ihre Arbeit getan. Dafür und für nichts anderes bezahle ich Sie!»
Ihre Stimme verursachte mir Kopfschmerzen.
«Soll ich Ihnen die Wahrheit über den Mord an Ihrem Mann liefern oder das, was Sie gern hören möchten?»
Sie parierte mit einem Blick, der mich trotz der Hitze frösteln liess. Ich kramte in meiner Brusttasche nach einer Zigarette und liess mir viel Zeit, sie mit einem Streichholz anzuzünden.
«Und?», sagte ich und sah langsam auf.
Daran, dass sie meinem Blick kurz auswich, erkannte ich ihr Einlenken.
«Was hat Ihr Mann in den Jahren einundneunzig bis fünfundneunzig getan?»
«Er hat gearbeitet.»
Ich zog die Brauen hoch.
«Er führte ein Lebensmittelgeschäft in einer kleinen Ortschaft, nahe der Stadt Knin.»
«Knin? Nie gehört …»
«Befindet sich in der Krajina.»
«Jener Landstrich in Kroatien, der während des Kriegs von den Serben okkupiert wurde?»
Ich sah, dass ich sie verärgert hatte, und setzte beschwichtigend hinzu: «Oder wie auch immer mans nennen will.»
«Das ist nicht einfach eine Frage von ‹wie auch immer mans nennen will›!», äffte sie mich nach. «Sie könnten sich zumindest bemühen zu verstehen, wie das ist, wenn man von einem Tag auf den anderen Ausländer im eigenen Land ist! Rechtlose Bürger in den Dörfern, in denen wir seit Generationen lebten!»
Ich nickte betroffen.
«Ihr Mann arbeitete also während der Kriegsjahre in seinem Laden», nahm ich den Faden wieder
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