Durst - Roman
Zigarette an, öffnete das Fenster und hielt den Kopf in den Fahrwind. Weiter gings über den Centralplatz zur Emmenweidstrasse.
«Wohin fahren wir?», fragte ich, während wir das ehemalige Torfmagazin passierten, das mit seinem mächtigen Dach und den dunklen Holzwänden an eine gigantische Scheune erinnerte.
«An einen Ort, wos gemütlich ist und was zu trinken gibt.»
Vor meinem Fenster zogen die Strebepfeiler der Schrotthalle im Sekundentakt vorbei. Der ohrenbetäubende Lärm liess keinen Zweifel daran, dass hier rund um die Uhr gearbeitet wurde. Aus der Einfahrt zum Hochofen fiel oranges Licht auf den Asphalt. Ich konnte einen Blick auf die grell leuchtende Schlacke werfen, die eben in einen glockenförmigen Transportbehälter ausgeschüttet wurde. Der Fahrer hielt sich weiterhin ans linke Emmenufer – die Bogenbrücke huschte vorbei, rechts das Verwaltungsgebäude.
Schliesslich erreichten wir die Hinter-Emmenweid, wo am Fuss des Hügels, der zur Entsorgung der Schlacke diente, ein Gewerbeareal lag. Der Wagen hielt vor einem länglichen, freistehenden Gebäude aus Kalksandstein. Wir stiegen aus.
Auf dem Schotterplatz standen gegen zwei Dutzend Gebrauchtwagen, ein paar verbeulte Ölfässer und eine rostige Kinderschaukel. Über dem Eingang an der kurzen Wand des Gebäudes, den man über eine schmale Gitterrosttreppe erreichte, brannte eine Halogenlampe.
Ich trat hinter Faruk als Letzter ein. Wir gingen einige Schritte im Dunkeln und kamen an eine weitere Tür. Durch den Spalt zwischen Tür und Schwelle drang Licht.
Das Zimmer war nicht grösser als das durchschnittliche Wohnzimmer einer Arbeiterwohnung. An der rechten Wand ein Elektroherd, ein Spülbecken, ein Kühlschrank und ein Metallgestell, worauf ohne sichtbare Ordnung Hausrat und Lebensmittelpackungen durcheinander lagen. Zur Linken ein abgewetztes Sofa, Rauchertischchen und verschiedene darum angeordnete Sessel und Stühle. Auf einer weissen Kommode, von der sich die Farbe in Schuppen löste, stand ein Radiorekorder, daneben eine Ständerlampe und ein Einkaufswagen, der als Altglasdepot diente. An den Wänden Pinup-Girls, eine vergilbte Weltkarte und hinter Glas ein Bild von – ich traute meinen Augen nicht – Josip Broz, genannt Tito, in seiner protzigen Admiralsuniform.
«Setz dich», sagte Faruk und öffnete den Kühlschrank.
Der erste Fahrer, ein dürres Männlein mit hohlen, bläulich schattierten Wangen, blieb wortlos im Raum stehen und schien etwas in seinen Hosentaschen zu suchen. Der andere, eine dauergrinsende Frohnatur, liess sich ins Sofa fallen. Er schlug mit der flachen Hand auf die freie Stelle neben sich.
Ich kam der doppelten Aufforderung nach und setzte mich.
Der junge Mann, ich schätzte ihn höchstens auf fünfundzwanzig, sprach mich auf Schweizerdeutsch an – in einer slawisch gefärbten Variante freilich: «Ich kenn dich, Mann, du warst doch an der Kanti!»
Ich nickte.
«Mein Bruder war auch dort … Hab dich mal an einer Holy-day-Party gesehen.»
Seine Fähigkeit, sich Gesichter zu merken, beeindruckte mich.
Wer denn sein Bruder sei.
Er beschrieb ihn mir, nannte Namen und Jahrgang – aber ich konnte mich nicht erinnern.
«Hey Mann, du bist doch jeweils bei der Schwemmi rumgehängt …»
Schwemmi nannten wir jene Stelle die Emme hinauf, wo mit Hilfe eines Staubeckens ein Teil des Flusswassers in den Kanal geleitet wurde.
«Wir sind früher jedes Wochenende dort rumgehängt – hey, was wir für Scheissdreck gemacht haben!» Er verwarf lachend die Hände.
Faruk reichte Bier und liess sich in einen schwarzen, zum Mantel passenden Ledersessel nieder.
«Ihr kennt euch?»
«Gewissermassen …»
«Hey Mann, er war mit meinem Bruder an der Kanti.»
Faruk prostete uns zu.
«Wie heisst du eigentlich?», fragte ich.
«Petar.»
«Petar – zum Wohl.»
Wir tranken.
Der Hagere hatte sich mittlerweile zum Kühlschrank begeben.
«Sorry wegen letztes Mal … War nicht persönlich gemeint. Wenn ich gewusst hätte, dass du es bist, hätte ich den Job nicht gemacht.»
Keine Ahnung, ob man auf so was ist-schon-in-Ordnung antwortete.
Ich sagte: «Schon in Ordnung.»
«Das ist unsere Zentrale», eröffnete Petar, und man hörte, dass er stolz darauf war.
Ich steckte mir eine Zigarette an, reichte Petar eine und gab ihm Feuer. Ich stiess Rauch aus und sagte an Faruk gewandt: «Du schuldest mir eine Erklärung …»
«Ja, richtig. Womit soll ich beginnen?»
«Warum interessierst du dich für den Fall Slavkovi ć
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