Durst: Thriller (German Edition)
unverhohlener Neugierde die blauen Augen zusammen, eine seiner typischen Mienen. Hannah gefiel die unharmonische, harte Note.
Ein paar Minuten später verließen die beiden, ohne jemandem Bescheid zu sagen, das Fest und fuhren in Hannahs weißem Mini nach London. Der Himmel war grau, es war windig, die Temperaturen schwankend. Abends gingen sie in ein indisches Restaurant in der Nähe der Victoria Station. Während des Essens stellte Hannah tausend Fragen und sprang von einem Thema zum nächsten. Sebastian antwortete ausweichend und schaute sie vor allem an. Dann stiegen sie wieder in den Mini und fuhren zu ihr nach Hause, in eine farbenfrohe, unaufgeräumte Wohnung, die nur auf sie zu warten schien.
Später im Bett sagte er: » Erzähl mir von diesem Kongress. «
Hannah lag auf dem Rücken und streckte sich aus. Ihre Hüften waren breit und knochig, ihr Busen kaum ausgebildet. » Kennst du die Faraday Society? «
Sebastian schüttelte den Kopf.
» Wirklich nicht? Das ist eine der wichtigsten englischen Wissenschaftsinstitutionen, eine der angesehensten weltweit. Der Kongress in Nottingham ist Teil der sogenannten Faraday-Debatten, eine sehr exklusive Angelegenheit. Es geht um Wasser, vor allem um anomale Verbindungen zwischen Wassermolekülen. «
Der Drache betrachtete sie von der Seite. Im karmesinroten Licht der Nachttischlampe erschien seine Nase finster und bedrohlich.
» Ich habe gehört, dass Boris Derjagin auch dort sein wird « , sagte er beiläufig.
Sie hielt ein schlankes, weißes, mit Sommersprossen übersätes Bein in die Höhe und schaute ihn ausdruckslos an. » Das hast du also gehört…Was wird das hier eigentlich, willst du mich auf den Arm nehmen? «
Er schüttelte den Kopf. » Das hab ich gestern zufällig im Hotel mitbekommen. «
» Glaub ich nicht « , sagte sie mit einem sanften Lächeln.
» Worüber werdet ihr reden? «
» Über anomale Verbindungen von HO und die Möglichkeit, dass sich die chemischen Kräfte anders verhalten. «
» Diesen Fachjargon ertrage ich nicht. «
» Dumm für dich, dass wir aber wissen, woraus das Universum besteht. «
» Glaubst du das wirklich? «
» Ja. « Hannah legte Sebastian eine Hand auf die Brust. » Möchtest du nicht mitkommen? Dann kannst du Derjagin hören. «
» Das geht nicht, ich muss nach Neu-Delhi. «
» Ich weiß. Du musst dich mit Aradi Seth treffen. «
» Und woher weißt du das? «
Sie antwortete nicht, sondern musterte ihn, ohne zu lächeln. » Verschieb das Ganze und komm mit nach Nottingham. «
Er starrte nur an die Decke.
Tags darauf waren sie in Nottingham. Der Kongress hatte zwar äußerst strenge Teilnahmebeschränkungen, aber Hannah gelang es irgendwie, Sebastian hineinzuschmuggeln. Im Laufe des Vormittags begriff er, dass es hier offensichtlich um die Frage ging, ob sich die Struktur einer Flüssigkeit durch den Kontakt mit festen Oberflächen verändern ließ. Um welche Art von Oberflächen es sich handelte, schien dabei unwesentlich zu sein. Die Beiträge waren samt und sonders hochgelehrt und überaus langweilig. Als jemand an Sebastian herantrat, als würde er ihn kennen, war er überrascht. Auch hier eilte ihm offenbar sein Ruf voraus. Ein paar junge Chemiker erkundigten sich schüchtern, ob sie ihm ihren Lebenslauf zukommen lassen dürften– der bereits griffbereit in ihren Kalbsledertaschen lag. Hannah lachte und richtete sich das rote Haar. » Meinen werde ich dir später auch noch unterjubeln. «
Gemeinsam hörten sie sich den Vortrag des berühmten russischen Chemikers Boris V. Derjagin von der Universität Moskau an. Darauf hatten die Kongressteilnehmer nur gewartet. Der Professor erging sich in kryptischen, spitzfindigen Darlegungen über die Wechselwirkungen zwischen Oberflächen und bestimmten Arten von Flüssigkeiten, darunter auch Wasser, und die Kolloide, die dabei möglicherweise entstehen könnten.
Als sie am Abend in einem schummrig beleuchteten Pub saßen, fragte Hannah, was er von der Sache halte.
» Interessant, aber auch langweilig « , antwortete Sebastian. » Der Begriff der Kolloide sagt mir überhaupt nichts. «
Sie nickte. » Grob gesagt handelt es sich um einen Zwischenzustand zwischen Gas und Flüssigkeit, wie bei Rasierschaum oder Zahnpasta. Na ja, eigentlich ist es kein Zwischenzustand, sondern eher eine andere Interaktionsweise als bei einer gewöhnlichen gelösten Substanz, bei etwas also, das in einem Lösungsmittel gelöst ist. Was ich sagen will, ist, dass auch ein Spray
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