Durst: Thriller (German Edition)
Gassen der Favela hoch und runter gerannt, um Rauschgift und Nachrichten zu transportieren. Dann war er Beobachtergeworden. In dieser Funktion hatte er seine Tage damit verbracht, mit einer Pistole in den Bermudashorts auf einem Barackendach zu liegen und Leute auszuspionieren. Der klassische Werdegang. War man zuverlässig, dauerte es nicht lange, bis man bedeutendere Rollen bekam, und mit ein wenig Glück konnte man es bis zum Drogenboss einer Favela bringen.
» In was für einer Favela warst du denn? « , fragte Sarah Clarice.
» Cabritos « , antwortete er, und Matheus fiel auf, dass er den Namen immer noch mit einem gewissen Stolz aussprach.
» Jetzt erzähl aber, was passiert ist « , drängte ihn Francesca.
» Ich hatte mit Crack angefangen… « Wagner schaute seine Zuhörer vielsagend an, dann richtete er den Blick wieder auf Matheus.
» Erzähl von dem Krieg. «
» Ach ja « , sagte Wagner. » Dann haben wir den Krieg verloren. Ich habe nur noch an Speedball gedacht– eine Mischung aus Kokain und Heroin, falls euch das nichts sagt–, und meine Kumpels auch, und da wurden wir dann vom Comando Vermelho überfallen und aus dem Geschäft gedrängt. «
» Und wer war der Chef dieses Kommandos? «
» Nicht Chef « , korrigierte Wagner sie verärgert. » Er war nur der Drogenboss irgendeiner anderen Favela. Sie kamen aus Penha oder aus Vila Cruzeiro oder aus einer dieser Favelas aus dem Complexo do Alemão. «
» Klar, aber wer war es? «
» Sie haben ihn Indianer genannt. Seinen echten Namen weiß ich nicht. «
Matheus überlief ein Schauer, aber er ließ sich nichts anmerken. Francesca fixierte ihn mit ihren eindringlichen Augen. Sarah Clarice kaute an ihrem Salat herum und schien gar nicht richtig zuzuhören. Die Jungen warfen ihr bewundernde Blicke zu, und die älteren Mädchen ebenfalls.
» Indianer? « , fragte Matheus.
Wagner nickte. » Ist er dein Bruder? «
» Wer? «
» Der Indianer « , sagte Wagner. » Ihr seht euch total ähnlich. «
Francesca lehnte sich zurück und schwieg. Sarah Clarice war plötzlich hellwach und legte ihr Plastikbesteck auf den Teller.
» Ich weiß, von wem er spricht « , sagte Francesca dann. » Er war bei uns in Behandlung. Nachdem du gestern fort warst, habe ich in unsere Datenbank geschaut, wo wir auch Digitalfotos von unseren Patienten speichern. Wagner absolviert gerade einen Computerkurs, im Zuge der Resozialisierung, und hilft mir bei der Datenpflege. Als ich bei den Patienten von 2003 und 2004 war, ist mir einer aufgefallen, der dir sehr ähnlich sieht. Plötzlich hat Wagner auf das Foto gezeigt und gesagt: › Aber das ist doch der Indianer! ‹ Stimmt’s, Wagner? «
Der Typ nickte.
» Zeig ihn mir « , sagte Matheus.
Sie gingen in Francescas Büro. Matheus schwitzte, und Sarah Clarice lief auf und ab, als hätte sie urplötzlich die Angst gepackt.
» Das ist Ulisses, klar. Das ist er. «
» Floriana muss also gewusst haben, dass er hier ist « , stellte Sarah Clarice fest. » Und sie muss es Carlo gesagt haben. «
Francesca schaute vom Computer auf. » Wer ist Floriana? «
» Meine Schwägerin, die Frau von Ulisses « , antwortete Matheus.
» Aha, okay. «
» Wann war das mit dem Überfall? « , erkundigte sich Matheus bei Wagner.
» Vor über einem Jahr. «
» Und Ulisses war cracksüchtig? « , erkundigte sich Matheus ungläubig.
» Es ging ihm ziemlich schlecht « , sagte Francesca. » Mir war zwar klar, dass er nie die Kontrolle über die Situation verloren hat, aber abhängig war er, das auf jeden Fall. Außerdem war er krank, wenn ich mich recht entsinne. «
» Was heißt krank? «
» Schau in den Krankenbericht. Er ist Diabetiker. «
» Aha. «
Matheus wandte sich an Wagner. » Was weißt du sonst noch über ihn? «
Wagner zog eine Grimasse. » Das ist ein ganz Harter, einer, der auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt. «
Das kann nicht sein, sagte sich Matheus. Mein Bruder ist immer ein stiller Typ gewesen. Die Ruhe in Person. Und er hat immer hart gearbeitet.
» Kennst du diesen Samba von Élton Medeiros, Katzenkralle? «
Matheus schüttelte den Kopf.
» Solltest du aber. Er handelt von einem armen Teufel namens Benedito Pereira, einem Mann wie vielen in den Favelas. Harte Arbeit, und am Sonntag ins Fußballstadion. Bis er sich dann eines Tages mit den falschen Personen unterhält. Die Polizei spricht sie an, klar, es sind ja Schwarze. Sie können sich nicht ausweisen und wandern ins Gefängnis. Benedito sitzt ein
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