Durst: Thriller (German Edition)
Bescheid gaben, dass sie aufbrechen wollten, bat Sarah Clarice die beiden, schon einmal vorzugehen. Sie würde alleine heimkehren.
Nachdem sie an jenem Freitag im Hafen von Bom Despacho die Fähre verlassen hatte, fühlte sich Sarah Clarice versucht, das Handy anzuschalten. Sie tat es dann aber doch nicht und vergrub das Handy stattdessen ganz unten in der grünen Leinentasche mit den winzigen gelben Margeriten.
Sie wollte verschwinden und zwei Tage ausschließlich ihren eigenen Angelegenheiten widmen, ohne an die Arbeit zu denken, an Marianne und die Analysen, an Matheus und den ganzen Rest. Die Sonne schien angenehm warm, die Kokospalmen bogen sich im Wind, und das Meer changierte in den verschiedensten Grüntönen. Sie liebte Itaparica und musste an das Grau der Heimatstadt ihres Vaters denken. Als sie in London gelebt hatte, hatte Sarah Clarice das Gefühl gehabt, am Nabel der Welt zu sein. Nirgendwo sonst fühlte sie sich aber derart wohl wie in dieser Landschaft mit diesen Farben.
Im Bus, der sie ins Zentrum brachte, steckte sie sich die Stöpsel ihres iPods ins Ohr. Sarah Clarice war fest entschlossen, diese absurde, vollkommen verrückte Geschichte zu beenden. Das hatte sie schon häufiger versucht, allerdings immer erfolglos. Dieses Mal ist wirklich das allerletzte Mal, versprach sie sich selbst.
Nach jenem Abend in der Bar war sie oft nach Itaparica gefahren. Bereits am ersten Abend hatte sie das Verlangen gespürt, mit Eliomar zu schlafen. Er hatte sie mit zu sich nach Hause genommen, und sie hatten bis tief in die Nacht weitergeredet. Außer sich ihre Geschichten über ihr Leben anzuhören und gelegentlich etwas einzuwerfen, unternahm er aber nichts. Dabei hatte Sarah Clarice sich noch nie derartig zu jemandem hingezogen gefühlt. Irgendwann versuchte sie, ihn zu küssen. Sie begehrte diesen Mann. Eliomars Lippen hatten etwas Sanftes, Erregendes, aber seine Augen blieben weit geöffnet und nahmen einen traurigen, ängstlichen Ausdruck an.
› Was ist? Möchtest du nicht? ‹
› Ich kann das nicht mehr, Sarah Clarice. Tut mir leid. ‹
Sie dachte, er mache Scherze. Dann begriff sie, dass der alte Maler es ernst meinte.
› Wenn du möchtest, male ich dich. Das ist meine Art zu lieben. ‹
› Küss mich, bitte. ‹ Sie wollte ihren Rock ausziehen, doch Eliomar sprang sofort auf, wie ein zorniger Kater.
› Nein, um Gottes willen, Sarah Clarice. ‹
› Warum? ‹
› Darum. ‹
› Was ist passiert? Warum kannst du nicht? ‹
› Ich war sehr krank. ‹
Nun kam er wieder zu ihr. Er war ein ungewöhnlich schöner Mann.
Sarah Clarice küsste ihn noch einmal. › Das macht nichts ‹ , sagte sie. › Ich möchte trotzdem, dass du mich küsst. ‹
Und dann tat er, worum sie ihn bat. Sarah Clarice schloss die Augen und roch ihren eigenen Vanillegeruch. Ihm wiederum war, als würde er von finsterer Nacht verschlungen.
Am nächsten Tag bat Eliomar sie zu vergessen, was geschehen war. Sarah Clarice aber erklärte, dass sie sich in ihn verliebt habe und dass es ihr egal sei, wenn er keinen Sex mit ihr haben könne. Eliomar betrachtete sie. Diese Frau hatte etwas, das ihn in Alarmbereitschaft versetzte und gleichzeitig reizte. Ein überraschender Gedanke kam ihm in den Sinn: Sie ist ein merkwürdiges Kunstwerk; irgendetwas an ihr ist unvergleichlich. Besonders ihre Augen verwirrten ihn. Sie waren kiwifarben, aber die Pupillen waren nicht schwarz, sondern honigfarben– wie goldglänzender Honig.
Ab diesem Tag sahen sie sich häufig. Er kam selten nach Salvador, und auch sie zog es vor, nach Itaparica zu fahren. Sie liebte dieses Haus am grünen Ozean, das aussah, als wäre es einer Designzeitschrift entsprungen. Für Eliomar war sie eine außergewöhnliche Freundin, und er bat sie immer wieder, ihm Modell zu sitzen. Sie weigerte sich jedoch standhaft. Trotzdem war Sarah Clarice eifersüchtig auf die Modelle, die ins Haus kamen. Frauen aus Itaparica. Eliomar sprach davon, dass er dem Geist Paul Gauguins nachspüre. Er malte die Menschen dieser Strände und Dörfer, die Früchte, die violetten und türkisfarbenen Vögel in den Zweigen der Mandel- und Mangobäume. Wenn Sarah Clarice die Leinwände betrachtete, die an den Atelierwänden lehnten, vermochte sie allerdings nichts von Gauguins Vitalität darin zu erkennen– sie sah immer nur Eliomar. Oder vielmehr das, was sie von Eliomar zu sehen bekam. Eine unsägliche Traurigkeit sprach aus den Bildern.
Den Blick auf die Küstenstraße und die
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